Mary Shelley von Haifaa al-Mansour. England/Irland/Australien, 2017. Elle Fanning, Douglas Booth, Bel Powley, Tom Sturridge, Stephen Dillane, Ben Hardy, Joanne Froggatt, Maisie Williams

Starke Frauen, die zweite. Oder so…

   Mary Shelley, das ist doch die, die den Frankenstein geschrieben hat, oder? Sonst weiß man höchstens noch, dass die mit dem berühmten romantischen Dichter Percy Shelley verheiratet war und außerdem dem Kreis um Lord Byron angehörte, einem skurrilen Haufen Schwarmgeister des frühen 19. Jahrhunderts. Wer darüber mehr wissen will, sollte sich am besten nicht den berüchtigten Film von Ken Russell angucken, denn der trägt wie immer eher zur Verwirrung und Vernebelung denn zur Aufklärung bei. Ein Biopic für Interessierte an romantischer englischer Literatur wäre also durchaus willkommen, und vielleicht hat die Tatsache, dass dieser Film auch nicht so recht dazu taugen will, zu den weitgehend negativen Rezensionen beigetragen, die er sich eingefangen hat. Die sind mir aber wurscht, sowieso.

   Mich interessiert eher die Frage, was die Regisseurin des wunderbaren Films vom Mädchen Wajda dazu bewogen haben mag, sich auf einmal diesem Themenfeld zuzuwenden, was genau sie im Sinn hatte. Sicherlich einen Film über eine Frau unter Männern zu drehen, eine Autorin in einer von Männern dominierten Ära, auch eine Frau auf der Suche nach sich selbst und ihrem Weg dorthin. Vielleicht auch ein Film über eine große, stürmische Liebe und über Künstler, die sich gegenseitig inspiriert und angetrieben haben, gleichzeitig auch in Konkurrenz zueinander arbeiteten. Kann alles sein, und ich finde, dass Frau al-Mansour auf diesem Gebiet überhaupt keinen schlechten Job gemacht hat, im Gegenteil, sie hat sogar einen ziemlich guten Job gemacht. Mich hat aber trotzdem was ganz anderes berührt beim Zusehen, und zwar der Gedanke, dass al-Mansour im Grunde nichts anderes vorhatte, als selbst einen romantischen Film im buchstäblichen Sinne zu drehen, einen Film, der die Essenz dieser Dichtung und ihrer Protagonisten nicht irgendwie über Fakten und Daten transportiert, sondern ihr nachspürt, sie nachzufühlen, in Bilder und Töne zu übersetzen versucht. Und wenn ich das mal als Prämisse annehme, finde ich, dass al-Mansour einen verdammt großartigen Job gemacht hat! Mir persönlich hat „Mary Shelley“ richtig gut gefallen, ich habe ihn als zweistündige Schwärmerei, Schwelgerei genossen, und die Botschaft in Richtung „starke Frauen“ ist durchaus nicht an mir vorübergegangen, dafür sorgt eine Filmemacherin, die weiß, wovon sie redet, wenn sie von einer Künstlerin erzählt, sie sich behaupten, sich durchkämpfen muss.

   Wir lernen die sechzehnjährige Mary Godwin kennen, die mit Vater, Stiefmutter und Stiefgeschwistern zusammen in London lebt, in einfach, finanziell stets klammen Verhältnissen, obwohl die Mama eine Berühmtheit war und der Vater noch immer ein sehr anerkannter Denker und Kunstförderer ist. Mary ist eng mit ihrer jüngeren Stiefschwester Claire verbandelt und liebt Schauergeschichten, die sie mithilfe ihrer ausgeprägten Fantasie am liebsten halbwegs nachleben würde. Als eines Tages Mr. Percy Bysshe Shelley ihren Vater besucht, wird alles anders, öffnet sich plötzlich eine neue, viel größere Welt, und der Film befasst sich nun größtenteils damit, wie Mary, Percy und Claire versuchen, diese neue Welt für sich zu erobern und ihren Platz darin zu festigen. Als Lord Byron auf den Plan tritt, kriegt die ganze Sache noch eine gehörige Extraprise Glamour und Drama, zwischen Mary und Percy geht es heftig ab und ab, ein Kind wird geboren und schnell wieder verloren, Claire ist plötzlich von Lord Byron schwanger und nebenbei ringt Mary noch mit der Arbeit an ihrem ersten größeren eigenen Text. Der Titel dieses Textes ist hinreichend bekannt, und wir erfahren hier, dass Mary ihn zunächst nur anonym und mit Shelleys Unterstützung publizieren konnte, dass sie später aber durch Percy selbst öffentlich rehabilitiert und als Autorin identifiziert wurde und dass weitere Auflagen unter ihrem eigenen Namen erscheinen konnten.

   Wie gesagt, die Fakten sind durchaus da und für sich genommen leidlich interessant, auch wenn ich von Romantik und englischen Schauerromanen leider so gut wie keine Ahnung habe, was ich zumindest in Teilen gern ändern würde. Vom typischen, durchschnittlichen Biopic hebt sich dieser Film allein durch seine Gestaltung ab, durch seinen Mut, konsequent oldschool und von mir aus auch kitschig oder sentimental gemacht zu sein. Hier geht’s um große Emotionen, und die werden in aller Intensität und Expressivität auf die Leinwand gebracht. Man muss sich eben darauf einlassen, auf einen Film, der selbst irgendwie gotisch, schauerlich, romantisch daherkommt, der sein Sujet sehr ernst nimmt, und dabei auch ungeniert auf klassische, eigentlich längst überlebte Motive zurückgreift. Und ich bin dabei nicht der Ansicht, dass al-Mansour ihr Thema oder ihre Protagonistin an selbstverliebtes Filmwerk verrät, denn wir haben die Mary durchaus ständig im Blick, ihre Sehnsucht nach der weiten Welt, hinaus aus der Beengung daheim mit der giftigen Stiefmutter, später dann die Liebe zu Percy und der Wunsch einer eigenen künstlerischen Identität, der natürlich bedeutet, dass sie nicht länger im Schatten des berühmten Mannes stehen, sondern als Frau und Künstlerin anerkannt und gleichberechtigt beurteilt werden will. Dabei erweist sie sich letztlich als äußerst zäh und stark, sie schreibt ihren Frankenstein im Zustand größter Verzweiflung und Einsamkeit nieder, transportiert genau diese Gefühle in ihrer Geschichte so intensiv, dass Percy ihr rät, doch einen etwas positiveren Akzent einzubauen. Genauso kompromisslos versucht sie später dann, ihre Autorenschaft anerkannt zu kriegen, was zunächst mal undenkbar erscheint, dass Frauen als ernstzunehmende Schriftstellerinnen im Kulturbetrieb jener Tage nicht vorgesehen sind.

 

   Elle Fanning liefert eine tolle Vorstellung, paart äußerste Feinnervigkeit und Empfindsamkeit mit kämpferischer Entschlossenheit und passt rein äußerlich perfekt zu ihrer Zeit und ihrer Rolle. Insgesamt ist dies ein feines Festmahl für meine Sinne, und zwar für alle, optisch und musikalisch wunderschön gestaltet, mit dem Mut zur ungenierten Romantik und allein schon in diesem Sinne ungeachtet aller Fragen nach faktischer Genauigkeit viel authentischer als manch anderes Periodenstück, das einfach nicht den Geist dieser Zeit erfasst. Das ist Haifaa al-Mansour auf eindrucksvolle, bravouröse Weise gelungen, und damit hat sie meiner besseren Hälfte und mir einen außerordentlich schönen Kinonachmittag im tristesten Winterregen beschert. (11.1.)