Mid90s von Jonah Hill. USA, 2018. Sunny Suljic, Lucas Hedges, Na’kel Smith, Olan Prenatt, Gio Galicia, Ryder McLaughlin, Katherine Waterston, Alexa Demie
Eine schöne Coming-of-age-Story mit Independent-Feeling, und wenn die Amis etwas können, dann sowas, vor allem dann, wenn die notwendige Nostalgie nicht allzu sehr durch Kitsch verdorben wird, und das hat Newcomer Jonah Hill tatsächlich total vermieden. Er gibt seinem viel Film Energie, Unmittelbarkeit und Atmosphäre, und so haben wir L.A. in den Mid90s äußerst lebhaft vor Augen, die Wärme, die Jungs auf den Straßen, die Skater, die Orte, wo sie abhängen. Alkohol, Drogen, Parties undsoweiter, dicke Hose, derbe Sprache, reichlich Machismo, und immer ne Bitch, die man flachlegen kann. Yo, man.
Stevie ist 13, ein schmales, unauffälliges, blasses Bürschchen, und natürlich total geflasht, als er eine dieser Gangs zum ersten Mal in Aktion sieht. Er lebt mit der alleinerziehenden Ma und dem großen Bruder Ian irgendwie eher allein und freudlos, und das coole, lockere Miteinander der Skater fasziniert ihn sofort, er will dazugehören. Er luchst Ian dessen altes Board ab und schmeißt sich an die Gang ran, wird von Ruben, der bis dahin der jüngste von ihnen war, mitgenommen. Die anderen sind deutlich älter und heißen Ray, Fuckshit und Fourth Grade. Stevie hat anfangs Schwierigkeiten, ernstgenommen zu werden, doch er ist so unermüdlich und eifrig, dass er langsam aber sicher in die Gruppe integriert wird, zum eifersüchtigen Misfallen Rubens, der plötzlich nicht mehr das Nesthäkchen ist und spürt, dass Stevie in der Gunst der anderen seinen Platz eingenommen hat. Als Stevie nach einem tollkühnen Stunt mit dem Board abstürzt, kümmern sich alle um ihn, später dann wird er mit Zigaretten, Alkohol und bewusstseinserweiternden Substanzen bekannt gemacht, und auf einer Party verschafft ihm eine flotte Braut auch die erste sexuelle Begegnung. Mama Dabney hat aber langsam den Kaffee auf und will Stevie zwingen, der Gang fernzubleiben, zumal sie deutlich mitkriegt, dass ihr Kleiner ihr total zu entgleiten droht. Aber Stevie wehrt sich verbissen, zerstreitet sich mit seiner Familie und schließt sich wieder den Jungs an. Nach einer ziemlich missratenen Party, auf der der missgünstige Fuckshit seinem Kumpel Ray absichtlich die Tour bei ein paar Profiskatern versaut hat, ziehen sie zu fünft noch im Wagen los und drehen eine Runde um die Häuser. Fuckshit fährt, total bedröhnt, es gibt einen Unfall, und Stevie landet im Krankenhaus. Die Jungs besuchen ihn dort, und Dabney, die davon irgendwie doch gerührt ist, lässt sie auch zu Stevie. Fourth Grade, der immer eine Kamera im Anschlag hat, zeigt den anderen seinen just fertig gewordenen Film, und den hat er „Mid90s“ genannt.
Wie gesagt, Nostalgie ist immer dabei, doch wird hier nicht mit pompöser Ausstattung gepunktet und es gibt auch keine explizite große Liebeserklärung an die Zeit der eigenen Jugend (Jonah Hill selbst wuchs offenbar im L.A. der 90er auf, das passt zeitlich also bestens). Im Mittelpunkt steht allein Stevie und wie er sich mit aller Entschlossenheit Zugang zu einer Welt verschafft, die zunächst für ihn kaum erreichbar scheint und in die er sich dann unter einigen Opfern regelrecht hineinarbeitet. Es ist gut, dass der Film im Original gezeigt wird, denn ohne das authentische Vokabular würde uns doch einiges fehlen beim Blick auf die Skaterjungs, ihre Rituale, ihr Miteinander, das posieren, die Angeberei, aber auch die Freundschaft und Solidarität, wenn‘s drauf ankommt. Ein paar Rangkämpfchen gehören dazu, ein paar Eifersüchteleien sowieso, aber am Ende sind sie alle geschlossen im Krankenhaus bei Stevie, und aus Dabneys Blickwinkel betrachtet sind das eben alles noch kleine Jungs, auch wenn ihre behaupteten oder tatsächlichen Lebenserfahrungen schon etwas anderes aussagen. Autor/Regisseur Jonah Hill gelingt es sehr gefühlvoll, uns verständlich zu machen, warum Stevie von der Gang so angezogen wird, was es für ihn bedeutet, dort aufgenommen und akzeptiert zu werden. Alles begeistert ihn, vor allem Rays Coolness und Souveränität und Fuckshits lautstarkes Geprahle und seine gockelhaften Posen. Sogar Ian, eigentlich ein ziemlich durchtrainierter und grimmiger Typ, der seinen kleinen Bruder mehr als einmal ordentlich vermöbelt hat, duckt sich letztlich weg, als er von Fuckshit angemacht und provoziert wird, und spätestens hier begreift Stevie, was eine gruppe ausmacht und wieso es soviel besser ist, zu einer zu gehören, statt immer nur sein eigenes Ding zu machen.
Der Soundtrack hat mir jetzt nicht soviel gesagt, aber Skatermusik war eh nie so meins, Grunge auch nicht, von daher bin ich nicht überrascht, dass ich nur einige wenige der Titel kenne. Das macht aber nichts, denn davon abgesehen gibt der Film seine Zeit und sein Milieu äußerst eindrücklich und lebhaft wieder, ohne deswegen ein großes Gewese zu veranstalten. Es geht hier auch nicht um Zeitgeschichte oder Politik, sondern nur darum, wie es war, damals aufzuwachsen, und wer auch dazugehört, wird sich hier vielleicht wiederfinden, und wer wie ich nicht dazugehört, wird sich auf jeden Fall an der unterhaltsamen und liebevollen Darstellung und den tollen, sehr echt wirkenden Typen erfreuen. (21.3.)