Nur eine Frau von Sherry Horman. BRD, 2019. Almila Bagriacik, Aram Arami, Merve Aksoy, Mehmet Atesci, Rauand Taleb, Özgür Karadeniz, Meral Perin, Lara Aylin Winkler, Jakob Matschenz, Samir Fuchs

   2005 wird in Berlin die dreiundzwanzigjährige Hatun genannt Aynur Sürücü von ihrem Bruder Nurin erschossen. Aynur selbst erzählt uns aus dem Off, wie es dazu gekommen ist. Die Sürücüs sind eine sunnitisch-kurdische Familie und leben insgesamt zu elft in einer engen Wohnung in Kreuzberg. Hatun als älteste Tochter wird mit sechzehn verheiratet in die Türkei mit einem Cousin, den sie noch nie gesehen hat. Sie wird schwanger und flieht vor der Gewalttätigkeit ihres Ehemannes zurück nach Berlin. Dort ist sie nicht mehr willkommen, weil die Familie, vor allem die dominanten Brüder die Ehre gefährdet sehen. Aynur lässt sich allerhand Demütigungen bis hin zu sexuellen Übergriffen gefallen, bis sie schließlich ausbricht und mit Hilfe ihrer Sozialbetreuerin eine eigene Wohnung findet. Sie bringt ihren Sohn Can zur Welt, beginnt als Lehre als Elektroinstallateurin und legt ihr Kopftuch ab. Damit treibt sie den Konflikt mit ihrer extrem konservativen Familie auf die Spitze und erste Drohungen seitens der Brüder werden laut. Sie verliebt sich in einen deutschen Jungen, der sich jedoch von ihr zurückzieht, als ihm klar wird, dass die beiden irgendwo in Berlin sicher wären vor den Nachstellungen des Clans. Aynurs Brüder holen sich Rat und Rückendeckung beim Prediger in der Moschee, der sie darin bestärkt, dass Aynurs Verhalten ihnen das Recht gibt, sie angemessen zu bestrafen. Aynurs Versuche, auf ihre Familie zuzugehen und auch über ihren kleinen Sohn wieder Kontakt herzustellen, werden schroff abgewiesen. Gegen die dringende bitte ihres ältesten Bruders, der als einziger offen auf ihrer Seite steht, aber nicht mehr bei der Familie lebt, Berlin zu verlassen und anderswo neu anzufangen, will Aynur ihre Familie nicht verlassen, sondern nähert sich ihr immer wieder.  Die Brüder planen den Mord, Nurin führt ihn durch, stellt seine Schwester auf dem Weg zum Bus, fragt sie mit vorgehaltener Waffe, ob sie ihre Sünden bereue und tötet sie. Er hat die Bekanntschaft einer Freundin seiner jüngeren Schwester Shirin gemacht. Die wurde liberal und eher westlich orientiert erzogen, gerät jetzt jedoch zunehmend unter den Einfluss der Sürücüs. Kurz bevor es zu spät wird, kann ihre Mutter sie zur Vernunft bringen und sie vor allem überreden, gegen Nurin und seine Brüder auszusagen, denn sie wurde mehrmals Zeuge ihrer Gespräche nach dem Mord. Die deutsche Justiz tut sich schwer mit einer Verurteilung – Nurin kommt mit einer Jugendstrafe davon, die Brüder werden gänzlich freigesprochen, das besagte Mädchen und seiner Mutter müssen ins Zeugenschutzprogramm und verlieren ihre gesamte Existenz.

   Eine ganz ähnliche Geschichte habe ich vor nicht ganz zehn Jahren schon mal im Kino gesehen. „Die Fremde“ von Feo Aladag erzählt im Grunde genau das Gleiche, die gleichen Symptome, die gleichen Ursachen, die gleichen Verläufe, die gleichen fatalen Folgen. Möglich, dass er sich sogar auf den gleichen Fall bezieht. Daher ist es denke ich völlig in Ordnung, die beiden Filme, die beide bezeichnenderweise von einer westlichen Regisseurin inszeniert wurden, direkt miteinander zu vergleichen, und für mich steht fest, dass „Die Fremde“ mich in fast jeder Beziehung deutlich mehr überzeugt hat. Ich will damit nicht sagen, dass „Nur eine Frau“ misslungen ist, nicht unbedingt. Er hat zweifellos etwas Wichtiges zusagen und das sagt er auch sehr laut und deutlich – und genau hier liegt nach meinem Empfinden sein größtes Problem. In ihrem unbändigen Eifer, eine Lanze zu brechen gegen das tiefe Unrecht, das muslimische Mädchen und Frauen wieder und wieder erleiden müssen, steigern sich Drehbuch und Regie zunehmend in einen wahren Klischeerausch hinein, den ich zumindest teilweise als sehr ungut erlebt habe. Aynurs Brüder und ihr infamer Hassprediger sind derart abstoßende, abgrundtief böse Geschöpfe, dass es wirklich leicht ist, sie zu hassen. Es ist dabei ja gar keine Frage, auf wessen Seite man in dieser Sache steht, einfach stehen muss, wenn man noch alle Sinne beisammenhat. Allein schon Almila Bagriaciks eindrucksvolle Präsenz lässt mich rückhaltlos für sie Partei ergreifen und jederzeit mitleiden mit ihrem düsteren Schicksal, doch als würde Horman der Sache selbst nicht recht trauen, greift sie so tief in die Stereotypenkiste, dass ich mich zwischendurch immer wieder dabei ertappte, dass ich emotional auf Distanz gehen wollte. Dass man solch ein Thema durchaus polemisch und mit zornigem Temperament angehen kann, finde ich total okay, nur läuft dieser Film zwischendurch regelrecht Gefahr, den falschen Leuten aus der Seele sprechen, nämlich jenen dunkelbraunen Schwachmaten, die schon immer wussten, wie mies Moslems und das ganze Ausländerpack generell doch sind. Horman riskiert mit ihrer polarisierenden Darstellung einiges, unter anderem eben, dass sie auch falsch verstanden werden könnte. Das hat sie dann irgendwann wohl selbst gemerkt und schnell noch die Figuren Evins und ihrer Mutter eingebaut, um uns zu verstehen zu geben, dass nicht alle Muslime Hinterwäldler sind, sondern es durchaus moderne, aufgeschlossene (das heißt: den westlichen Wertvorstellungen gegenüber aufgeschlossene) Bürger unter ihnen gibt, die perfekt assimiliert sind und garantiert keine Schwierigkeiten machen. Ein Schachzug, den ich als ziemlich manipulativ empfand und der einzig dazu dient, dem Vorwurf der Einseitigkeit und Islamfeindlichkeit vorbeugend zu begegnen.

   Ich habe mich zwischendurch auch gefragt, für wen dieser Film gemacht ist, und dachte dann, dass er wohl eher nicht für muslimische Mädchen und Frauen gemacht wurde – jedenfalls habe ich im Kino keine einzige gesehen – sondern eher für uns westliche Gutmenschen, die ihre aufrichtige Empörung über Misshandlung und religiöse Engstirnigkeit endlich mal in einen Film, gefasst sehen wollen.

   Und hier haben wir wirklich alles beisammen – die neidisch-verlogene kleine Schwester, den hilflosen Vater, die Supermachoarschlochbrüder, den manipulativen Prediger, der mit sanfter, ruhiger Stimme Hass und Gewalt predigt. Jedes Puzzlesteinchen passt perfekt ins Bild, eine Art von Differenzierung findet an dieser Stelle nicht statt. Eine Frau ist nichts in dieser Welt, das ist schon klar, sie schweigt, sie heiratet den, dem sie zugewiesen wird, sie gebärt, die macht der Familie Ehre, andere Optionen sind außerhalb ihrer Möglichkeiten. Aynurs Ausbruch stellt einen Affront auf ganzer Linie dar, und nach der Logik ihrer Kultur und ihres Glaubens darf dieser Affront mit einem Mord gesühnt werden, er muss eigentlich mit Mord gesühnt werden, denn nur so lässt sich die Familienehre wiederherstellen. Dabei ist der Begriff „Ehrenmord“ eines jener Unwörter, die man eigentlich verbieten sollte, ein Widerspruch in sich. Interessant wäre es hier gewesen, den Umgang bzw. den Nicht-Umgang der deutschen Justiz mit diesem Phänomen etwas eingehender zu beleuchten, doch das wäre sicherlich Stoff für einen eigenen Film.

 

   „Nur eine Frau“ trägt sein Anliegen auf einem großen Plakat vor sich her. Das verstehe ich und das ehrt den Film vielleicht prinzipiell, doch trägt er in allem eine Stufe zu dick auf, vor allem der Off-Kommentar der toten Aynur, die auf ihre Geschichte zurückblickt und uns zugleich in ihre Kultur einführt, ist mir zu didaktisch und zu überdeutlich. Das meiste von dem, was wir sehen, hätte dieses Kommentars nicht bedurft, und manchmal macht er den Eindruck, als müsse er uns dumme Zuschauer nochmal richtig auf diese oder jene Tatsache hinweisen, damit uns auch ja nichts entgeht und wir alles richtig verstehen. Ich weiß nicht, wie real die Chance ist, dass sich mal eine türkische Filmemacherin dieses Themas annimmt – ich wäre sehr gespannt darauf. (14.5.)