Official Secrets von Gavin Hood. England/USA, 2019. Keira Knightley, Adam Bakri, Ralph Fiennes, Matt Smith, Indira Varma, Rhys Ifans, Matthew Goode, Conleth Hill, Tamsin Greig

   Die wahre Geschichte einer Whistleblowerin. Katherine Gun arbeitet im GCHQ, was abgekürzt Government Communication Headquarters bedeutet und Teil des britischen Geheimdienstes ist, eine gewissenhafte, stets korrekte, von der Richtigkeit ihrer Arbeit überzeugte Bürodame. Bis ihr im Januar 2003 ein Memo in die Hände fällt. Dem ist zu entnehmen, dass die Vereinigten Staaten unter anderem durch Abhörmaßnahmen gezielt Informationen über Vertreter einiger Mitglieder der Vereinten Nationen sammeln wollten. Diese Informationen sollten bei Bedarf als Druckmittel eingesetzt werden, um die betreffenden Mitglieder bei der Abstimmung über den möglichen Krieg gegen den Irak zu beeinflussen. Wir erinnern uns: Powell und Bush hatten der ganzen Welt „gesicherte Fakten“ über Saddam Hussein präsentiert, auf deren Grundlage nun ein Krieg gegen den Irak gerechtfertigt sein sollte. Die Abstimmung in den Vereinten Nationen sollte diesen Krieg legitimieren, nur musste Vorsorge getroffen werden bezüglich der bis dato „unsicheren“ Mitglieder, die möglicherweise einer Resolution nicht zustimmen könnten. Empört über die Art und Weise, wie die Weltöffentlichkeit dreist belogen und in einen Krieg hineinmanipuliert  wurde und wie eindeutig rechtswidrige Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele verwendet wurden, entscheidet sich Katherine nach einigen inneren Gewissenkonflikten schließlich dafür, das Memo zu leaken, wohl wissend, dass sie damit gegen den Official Secrets Act verstoßen und wahrscheinlich eine Gefängnisstrafe zu erwarten haben würde. Doch die Wut auf die Lügner in Washington und den flotten Stiefellecker in Downing Street 10 ist letztlich größer als die Angst vor den Konsequenzen. Die Obrigkeit reagiert zunächst mit allen Registern: Drohung, Einschüchterung, vor allem gegen Katherines Ehemann Yasar, der als syrischer Flüchtling in London noch immer darauf wartet, anerkannt zu werden. Katherine erhält Unterstützung durch ein paar engagierte Medienleute und vor allem ein erfahrenes Anwaltsteam, denen bald klar ist, dass Katherine zwar zweifelsfrei gegen herrschendes Recht verstoßen hat, dass aber fraglich sein wird, ob es tatsächlich zu einer detaillierten Verhandlung kommt, denn in dem Falle könnten peinliche Fakten zur Debatte stehen. Und genauso geschieht’s…

   Zwei Pointen hat diese komplexe Geschichte, und beide sind mehr oder weniger bitter: Katherine wird absurderweise nicht verurteilt, aber nicht, weil irgendjemand ihr Handeln plötzlich gut und richtig findet, sondern nur, damit nicht noch mehr unliebsame Fakten ans Licht der Öffentlichkeit gelangen können. Keine Entscheidung im Sinne der Gerechtigkeit also, reines politisches Kalkül. Und die zweite Pointe: Katherine kann den Irakkrieg natürlich nicht verhindern, obwohl dies ihre stärkste Antriebsfeder war. Natürlich findet der Krieg statt, und natürlich fordert er viele viele sinnlose und unschuldige Opfer, und natürlich werden die, die ihn angeblich im Interesse der Weltöffentlichkeit angezettelt haben, bis zuletzt an ihren offensichtlichen Lügen festhalten und die Weltöffentlichkeit für dumm verkaufen. Some things just never change…

 

   Wer oder was also sind Whistleblower? Verantwortungslose, kriminelle Saboteure, die jegliche Autorität unterlaufen und vorsätzlich die Sicherheit ihres Landes und überhaupt der ganzen Welt gefährden? Oder die letzten Helden unserer Zeit, selbstlose Moralisten, die jegliches Opfer auf sich nehmen im Dienste der Demokratie, der Freiheit und der Transparenz, und die wenigstens hier und da mal dafür sorgen, dass die Mächtigen nicht immer mit ihren Schweinereien durchkommen? In diesem Film wird eine klare Antwort darauf gegeben: Katherine ist eine aufrechte Idealistin, die ungeachtet ihres Jobs und der damit verbundenen Position zuallererst ihrem Gewissen verpflichtet ist, und die sich und ihren Ehemann in beträchtliche Gefahr bringt, weil sie nicht verantworten will, dass ein Krieg, der so offenkundig durch Lügen und Einschüchterung herbeigeführt wurde, Tausende von Menschen in den Tod reißt. Das ist ehren- und durchaus auch heldenhaft, und auch wenn Katherine jede Menge banger Momente, Ängste und Unsicherheiten durchzustehen hat, bleibt sie in ihrer pazifistischen Überzeugung fest und unverrückbar, selbst als ihr Mann nur ganz knapp einer Nacht-und-Nebel-Ausweisung entgeht, und sie höchstpersönlich zum Flughafen hetzen muss, um ihn davor zu bewahren. So jemanden als Helden zu bezeichnen, ist durchaus nicht verkehrt. Leider hat die fabelhaft präsente Keira Knightley nicht sehr viel Material in den Händen, um ihrer Katherine Gun ein bisschen mehr Tiefe und Mehrdimensionalität zu verleihen, aber klar, der Respekt vor dieser Persönlichkeit wird das Drehbuch maßgeblich geprägt haben, jedenfalls hatte ich nach Filmende vor allem diesen Eindruck. Das ist auch okay so, schließlich ist ihre Geschichte und das, was sie getan hat, durchaus bemerkenswert. Und Gavin Hood hat das Richtige gemacht und sich genau auf diese Geschichte konzentriert, unnötig aufbauschendes Beiwerk weggelassen und damit einen konzentrierten, spannenden, intensiven Politthriller gedreht. Die verschiedenen, ineinander greifenden Handlungsebenen und -stränge werden griffig und überzeugend nachvollzogen – wir verstehen, was auf dem Spiel steht, welche Interessen in der Waagschale liegen und welche Werte hier gegeneinander aufgerechnet werden. Die vermeintliche nationale Sicherheit gegen die Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsweitergabe. Der Official Secrets Act gegen die Verpflichtung des Einzelnen, die Öffentlichkeit auf Lug und Trug aufmerksam zu machen, erst recht, wenn ein Krieg droht. Hoods Film ist ein sehr gelungenes Beispiel dafür, wie man spannend erzählen kann, ohne Action und Blutvergießen auffahren zu müssen. Allein in den vielen Begegnungen und Gesprächen kommt die Dramatik der Situation zum Ausdruck, das verbissene Tauziehen der gegnerischen Parteien, auch der verzweifelte Kampf der vermeintlich Unterlegenen gegen die vermeintlich Übermächtigen. Schön, dass Letztere auch mal in Bedrängnis geraten können – auch wenn es am Ende nichts gebracht hat, wie schon gesagt. Die Botschaft ist dennoch unzweideutig: Ein Toast auf die, die nicht schweigende Mitwisser sein können. Und eins die Fresse diesem ätzenden Grinsemann, der dem großen Freund jenseits des Atlantiks immer so schön die Steigbügel gehalten hat… (1.12.)