Petting statt Pershing von Petra Lüschow. BRD, 2018. Anna Florkowski, Florian Stetter, Christina Große, Thorsten Merten, Barbara Phillip, Britta Hammelstein, Leon Ulrich, Zoe Moore, Hermann Beyer, Oskar Boekelmann
Nochmal ein deutscher Historienfilm, wenn man so will, aber gänzlich anders gelagert, was Anspruch, Tonfall und Umsetzung angeht. Eine liebevolle, witzig-ironische Hommage an die grauenhaften 80er und was es bedeutete, ausgerechnet in diesem Jahrzehnt großwerden zu müssen. Die Leute trugen Bundeswehrparkas oder komisches Strickzeug, fuhren Audis, die noch aussahen wie Matchboxautos und nicht wie anthrazitfarbene Schwanzverlängerungen, und über ihre Haar- und Barttracht sollte am besten der sprichwörtliche Mantel des Schweigens gehüllt werden. In den Städten brodelte die Protestbewegung gegen Aufrüstung, Pershing II, die Frauen versuchten endlich, ihre einst verheißene Emanzipation in die Tat umzusetzen oder zumindest, ihren eigenen Körper kennenzulernen, und die Männer trödelten wie immer bräsig vor sich hin und kriegten erst dann was mit, wenn längst alles zu spät war. Auf dem Land ist von alledem erstmal nichts zu spüren, und wenn sich doch mal, so wie hier, eine „Hippiekommune“ in die hessische Provinz verirrt, kommt es zu einem höchst amüsanten Kulturclash mit völlig unvorhersehbaren Synergieeffekten.
Ursula hat das Pech, genau in diesem Milieu heranzuwachsen. Die Eltern liegen im Dauerzoff, weil der Zahnarzt-Paps ständig fremdgeht und die Lehrer-Mama frustriert und im wahrsten Sinne des Wortes unbefriedigt vor sich hin grummelt und höchstens mal ein folgenloses „Helmut, es ist aus“ an die Wand häkelt. Opa ist ein schrulliger Kriegsveteran, der mit Fernglas und Handgranaten hantiert und über dessen Vergangenheit mysteriöses Tiefschweigen bewahrt wird. Ursula ist äußerst klug, leider aber ziemlich pummelig und deshalb das Paradeopfer an der lokalen Schule. Alles wird anders, als ein neuer Lehrer im Dorf auftaucht. Der heißt Siegfried, sieht smart aus, schaut den Frauen sehr tief in die Augen und setzt bei allen schlagartig alle möglichen verwegenen Phantasien frei, unter anderem bei Ursula und ihrer Mama Inge. Siegfried lebt in einer Landkommune, die sich auf einem Bauernhof eingenistet hat, dort versucht, einen strikt ökologischen Lebensstil zu pflegen und ihre Ideen und Lehren nach Möglichkeit an die Dorfbevölkerung weiterzugeben, nicht ganz ohne Erfolg, vor allem durch das Charisma ihres Biolehrers, der die offene Beziehung und freie Liebe propagiert, was nichts anderes heißt, als das er jede besteigt, die nicht bei drei auf dem Baum ist. Vor allem einige gefrustete Hausfrauen im Ort sind bereit, Kopf und Kragen für diesen Frauenversteher zu riskieren, unter anderem eben Inge, die mit Mann und Tochter eh nicht sonderlich viel anfangen kann und endlich mal was für sich tun wird. Aber auch Ursula macht sich Hoffnungen und ist bereit, von nun gewaltfrei und vegetarisch zu leben und lässt sich obendrein von den Schikanen der Mitschüler nicht beirren. Das ganze Konstrukt gerät ins Wanken, weil Siegfried seinen Charme überschätzt und nicht kapiert, dass die Frauen nichts von offenen Partnerschaften halten, sondern ihn ganz für sich allein haben wollen. Und er unterschätzt wiederum ihre Entschlossenheit und die Wahl ihrer Mittel im Kampf gegen die Konkurrenz. Ursula gerät in Not, weil eine fiese alte Ziege ihr ein Attentat mit Schaufel anhängt und weil Siegfried ihr auf seine liebe, sanfte Art klarmacht, dass das mit den beiden nie was werden kann. Aber immerhin gelingt ihr der Ausbruch von zuhause, und am Schluss macht sie sich einfach auf den Weg irgendwohin.
Petra Lüschow setzt auf gekonnte Überspitzung, eine betont stereotype Personenanordnung und die Klasse der Darsteller, die dafür sorgen, dass das Ganze nicht zur leblosen Nummernrevue geworden ist. Und allen sind Leute wie hier in den 80ern begegnet, die Müslis, die Demonstranten aus Mutlangen oder anderen mythischen Orten des gewaltfreien Widerstandes, die Tussis in Strickstulpen und Ballonseideanzügen, die Dummköpfe mit Pornobalken und Jeansjacke undsoweiter. Dazu die unvermeidlich genervten und zerstrittenen Eltern, die sich zumeist mit ihren eigenen verpassten Chancen aus der 68er-Zeit herumschlagen. Alles bekannt, alles nicht neu, und so ist unser Gelächter einerseits ein Gelächter des Wiedererkennens und eines der Erleichterung, dass diese gruselige Epoche vorüber ist und wir alle überlebt haben. Lüschow ist immerhin taktvoll genug, ihr Personal nicht als Freakshow auszustellen und der Lächerlichkeit preiszugeben, dennoch ist dies insgesamt recht leichte Unterhaltung, die konsequent jede Möglichkeit zu etwas ernsthafteren Betrachtungen links liegenlässt. Der Film ist darin vollkommen konsequent, und ich muss damit leben, dass ich einfach nicht mehr bekommen als eine nette, stellenweise wirklich lustige Zeitgeistkomödie. Ist ja auch in Ordnung, zumal viele Gags gekonnt getimt und platziert sind und ich coming-of-age-Geschichte prinzipiell immer gern sehe. Und wahrscheinlich verkraftet man die 80er eh am besten, indem man über sie lacht, aus sicherem Abstand, versteht sich… (12.9.)