Prélude von Sabrina Sarabi. BRD, 2019. Louis Hoffmann, Liv Lisa Fries, Ursina Lardi, Johannes Nussbaum, Jennifer Schily, Saskia Rosendahl, Arno Frisch, David Kosel

   Ich lerne: Gib nie zuviel auf den Trailer. Viele machen einen Film besser als er tatsächlich ist. Manche aber machen ihn auch schlechter bzw. erzeugen einen ganz irreführenden Eindruck. In jedem Fall hilft nur eins: Mach dir selbst ein Bild, wenn du‘s wirklich wissen willst. Eigentlich dacht ich nach dem Trailer zu „Prélude“, dass dies offensichtlich ein Künstlerkitschdrama mit hochkarätiger Besetzung ist, aber nix, was ich wirklich brauche. Dann hab ich mich aber doch von der besagten Besetzung ködern lassen und den Sonntagnachmittag nicht ganz vertrödeln wollen, und das war ganz richtig so, denn „Prélude“ hat mir auf seine recht sperrige Art ziemlich gut gefallen.

  Gut neunzig Minuten lang werden wir Zeuge, wie ein junger, talentierter und enorm ehrgeiziger Pianist untergeht, sich verliert, und bis zuletzt verstehen wir das nicht so recht und genau das macht die Tragödie in dieser Geschichte aus. David erobert das Mädchen, das er erobern will und er kriegt das Stipendium für die berühmte Juilliard School in New York, und für beides muss er sehr hart kämpfen und einiges einstecken, doch am Ende wirft er beides weg und abschließend sogar sein gesamtes Leben, indem er sich in der Wohnung einer alten Schulfreundin erhängt. Ist er Opfer eines perfiden Systems von Leistungsdruck geworden oder eher Opfer eines tiefer liegenden selbstzerstörerischen Triebs? Die Autorin/Regisseurin lässt uns ohne eine konkrete Antwort zurück, es gibt vielleicht ein paar Hinweise, doch letztlich bleibt mir David fremd, wenn auch nicht ganz unverständlich. Er begegnet mir zunächst als introvertierter, sehr ernsthafter junger Typ, der in eine Eliteschule für besonders begabte Musiker kommt, doch jedoch kaum Wurzeln schlägt oder Bekanntschaften macht, wenn man von Marie und Walter absieht, die anfangs noch ein Paar sind, bis sich die kapriziöse Marie dem Neuen zuwendet. David genießt das Zusammenleben mit ihr auf eine Weise, doch sind seine Prioritäten stets ganz klar, er denkt zuallererst an sich und seine Karriere. Spannungsreich sind vor allem seine Auseinandersetzungen mit seiner Lehrerin Matussek und einem ziemlich übel arroganten anderen Prof, der ihn vor versammelter Mannschaft lächerlich macht, doch er beißt die Zähne zusammen, steckt die Demütigungen weg, was nichts Geringes ist in diesem Fall, und arbeitet weiter für sein großes Ziel. Und als er es dann in der Hand hält, verliert er auf einer Party total die Kontrolle und alles geht den Bach runter. Seine Lehrerin schickt ihn nach Hause, nachdem sie ihm erklärt hat, er werde unter diesen Umständen nicht nach New York gehen können, doch seiner Mutter und auch der guten alten Freundin kann er die Wahrheit nicht sagen, er spielt den zukünftigen Starpianisten, und vielleicht hat er da schon abgeschlossen.

   Sabrina Sarabi erzählt spröde, schnörkellos, unmittelbar. So nahe sie David zuleibe zu rücken scheint, so fern bleibt er, und Louis Hoffmann, der einmal mehr äußerst beeindruckend spielt, tut nichts dafür, ihn für mich zu öffnen oder gar zu erklären. Er ist einfach nur ein in sich gekehrter junger Typ, der ab und zu ausrastet und ansonsten eine Menge erträgt, um Erfolg zu haben. Er mutet sich stundenlange schmerzhafte Exerzitien zu, lässt sich das oft fast tyrannische und auch von einem merkwürdig erotischen Unterton begleitete Verhalten seiner Lehrerin gefallen, gerät mit Walter aneinander im Kampf um Marie, er übersteht all das, und dennoch rettet es ihm am Schluss doch nicht das Leben. Sein Tod ist schockierend, eigentlich aber eher tief traurig, denn wir sehen ein weggeworfenes Leben und verstehen nicht so recht, was dazu geführt hat. Liegt der Grund doch in dem mörderischen Leistungsdruck oder eher irgendwo in der Familiengeschichte? Sarabi bleibt die Antwort schuldig, und diese Offenheit macht einen Teil der Wirkung ihres Films aus. Sie gestaltet die zunehmende Auflösung Davids vor allem akustisch sehr wirkungsvoll, arbeitet mit verzerrten, elektronischen, psychedelischen Toneffekten, die die Bilder zunehmend überlagern, stören, die auch unsere Sicherheit stören, was von dem Gesehenen tatsächlich real ist und was vielleicht Davids fiebriger Wahrnehmung entspringen könnte. Er selbst ist sich zwischendurch nicht sicher, ob Marie überhaupt real ist, und auf diese Weise eröffnen sich hier jede Menge Irritationen, eröffnet auch auf jeden Fall ein ebenso faszinierender wie suggestiver Erzählsog, den sich im neuen BRD-Kino schon länger niemand mehr getraut hat, weshalb „Prélude“ auch deutlich herausfällt aus der Menge eher routinierter und künstlerisch risikofreier Produktionen. Hier ist mal wieder ein Drehbuch, das es wagt, nicht alle Dinge bis ins kleinste Detail zu erklären und vorzuverdauen, das es wagt, uns einfach mal ein Drama vorzusetzen und dies als solches wirken und für sich selbst sprechen zu lassen und das Risiko einzugehen, dass wir Zuschauer vielleicht nicht alles verstehen und nachvollziehen. Denn das hat einem guten Film noch nie seine Wirkung genommen.

 

   Und dies ist ein guter Film, stark inszeniert und bis in kleine Nebenrollen großartig besetzt und absolut meilenweit von dem seifigen Melodrama entfernt, das ich noch nach dem Ansehen des Trailers befürchtet hatte. Womit ich wieder am Anfang wäre… (1.9.)