At eternity’s gate (Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit) von Julian Schnabel. Frankreich/USA, 2018. Willem Dafoe, Rupert Friend, Oscar Isaac, Emmanuelle Seigner, Mathieu Almaric, Mads Mikkelsen, Amira Casar, Vladimir Consigny, Niels Arestrup, Anne Consigny

   Die letzten Jahre im Leben des Vincent van Gogh, 1888 bis 1890. Der Ausbruch aus der Künstlerszene von Paris, die Emanzipation als Einzelgänger, als Maler, der entschlossen seiner eigenen Vision folgt, der Weg in den Süden nach Arles, die fruchtbare Schaffensphase der nächsten Jahre, unterbrochen durch psychische Krisen, Aufenthalten in einer Anstalt in der Provence, die Freundschaft mit Gauguin, die enge Bindung zum Bruder Theo, der gegen alle Widerstände zu ihm hält, der plötzliche, rätselhafte Tod durch einen Pistolenschuss in Auvers-sur-Oise.

   Keines der üblichen Biopics, mit denen wir in den letzten Jahren förmlich überschüttet worden sind. War auch irgendwie nicht zu erwarten bei einem Regisseur wie Julian Schnabel, der selbst Maler ist und sich der Materie naturgemäß aus einer ganz anderen Richtung nähert als der gewöhnliche Filmemacher. Das macht diesmal den Unterschied und das hebt diesen van-Gogh-Film auch ziemlich deutlich ab von seinesgleichen. Sicherlich kein leicht konsumierbarer Kunstfilm ist das geworden, manchmal gar ein wenig Anstrengend angesichts der zum Teil heftig herumwackelnden Kamera, aber irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass dies einer der ganz wenigen Filme über Malerei geworden ist, die ihrem Sujet wirklich gerecht geworden sind, halt der Film eines Malers über einen anderen Maler, respektvoll und kenntnisreich zugleich.

   Die biographischen Eckdaten werden nur flüchtig umrissen, sind unwichtig, denn hier geht es um die Kunst und den Künstler, was ihn bewegt, was ihn treibt, wie er das Leben und die Welt sieht. Oft verfolgen wir van Gogh bei langen, scheinbar ziellosen Wegen durch die Landschaft, die ihm so viel mehr bedeutete als der geschlossene Raum, weswegen er vielfach nur als ein exzentrischer Landschaftsmaler galt. Der eitle Gauguin versucht immer wieder, den Kollegen und Freund in ausufernden, großspurigen und bisweilen auch belehrenden Monologen auf den „richtigen“ Weg zu bringen, nämlich weg von der Landschaft, weg vom hektischen, hitzigen Pinselstrich, hin zu mehr Ruhe, Disziplin, Technik. Er stößt letztlich auf Granit, auf einen kompromisslosen Maler, der seine Kunst gelegentlich zu erklären versucht, der aber ansonsten eher intuitiv das tut, was er für sich als richtig fühlt, und er hat auch etliche Vorbilder in der Kunst, auf die er sich berufen kann, die ihn bestätigen in seinem enorm schnellen, fast obsessiven Arbeiten, von dem Gauguin ihn unbedingt abbringen will. Und er wird recht behalten, denn der unermüdliche Theo schafft es schließlich doch, einige Kunstkenner von den Qualitäten seines Bruders zu überzeugen, und plötzlich wird man auf die Gemälde van Goghs aufmerksam. Für ihn selbst kommt das viel zu spät, er ist schon verloren an irgendeine diffuse psychiatrische Erkrankung, mit der wir auch ungebremst konfrontiert werden. Immer wieder kommt es zu merkwürdig entgleisenden Zusammentreffen mit Menschen, unerklärlichen Eskalationen, die aber ebenso gut nur in van Goghs Vorstellung so passieren. Ihm selbst ist das durchaus in manch klaren Momenten bewusst, in anderen wiederum scheint er hilflos ausgeliefert zu sein. Dem Zugriff der Gruselpsychiatrie mit ihren schaurig mittelalterlichen „Behandlungs“-Methoden entzieht er sich mal, und mal sucht er regelrecht Schutz und Zuflucht dort, genauso wie er Gauguin mal verprellt und meidet, und dann wieder seine Nähe und seinen Zuspruch braucht. Einzig die Beziehung zu Theo scheint stabil, unverrückbar, konstant, er ist der buchstäbliche Fels in der Brandung, der sich, wie man weiß, selbst an dieser Mammutaufgabe zerrieb und kurz nach dem älteren Bruder jung verstarb.

   Schnabel zeigt nicht nur das Leben eines Künstlers, er spürt seiner Kunst nach, er kommt dieser Kunst nahe wie selten ein Filmemacher vor ihm. Für mich als Zuschauer heißt das, dass ich einiges aushalten muss – die Bilder stolpern und flackern, sind oft nur halb scharf, häufig durch Farbfilter verfremdet, dann wieder intensiv leuchtend, ganz wie van Goghs Bilder selbst. Zur Ruhe komme ich hier kaum, aber das wäre auch unangemessen, denn hier geht es um einen rauschhaft Schaffenden, einen Getriebenen, Rastlosen, der in nur wenigen Monaten über siebzig Bilder malt, mehr als viele Kollegen in ihrem gesamten Leben nicht zustande bringen. Wir lernen zu begreifen, wieso van Goghs Bilder so aussehen, wie sie aussehen und auch, warum sie so wirken wie sie wirken, aus welchem Impuls sie entstanden sind, was sie inspiriert hat. Auch das gelingt nur wenigen Filmen über Kunst. Im Gespräch mit einem staunenden, grundsätzlich eher missbilligenden dennoch neugierigen Priester macht van Gogh klar, dass er sich durchaus von Gott berufen fühlt, und Schnabels Inszenierung lässt daraus keine hohle Phrase werden, sondern findet tatsächlich einen Weg dorthin. Auch Willem Dafoes Darstellung führt uns in diese Richtung, und die ist ganz außerordentlich, erst recht, wenn man bedenkt, dass er mindestens fünfundzwanzig Jahre zu alt ist für seine Rolle. Er gibt van Gogh eine große Tiefe und Würde und Präsenz und bleibt andererseits fremd und rätselhaft, und alles andere wäre auch anmaßend. Er macht ihn für uns weder zu groß noch zu klein, erspart uns keine Sperrigkeit, keine Widersprüche, keine Abgründe, bringt aber dennoch in einigen Momenten in einen so unmittelbaren Kontakt, der wirklich erstaunlich ist. Die bis in kleinste Nebenrollen überaus prominente Kollegenschar hilft bisweilen, das Ganze ein wenig aufzulockern, was ich als ganz angenehm empfand, denn im Kern ist all das natürlich schwerer Stoff.

 

   Also, man muss sich drauf einlassen, einen Film abseits der üblichen Gepflogenheiten sehen zu wollen. Schnabel hat das mehrmals schon so gemacht, und fast immer großartige Ergebnisse erzielt, soweit ich das beurteilen kann. Sein van-Gogh-Film entfaltet seine volle Wirkung für mich fast eher im Nachklang, wenn man die ungewöhnliche Bilderflut halbwegs bewältigt und verarbeitet hat. Ein Kunstfilm im besten Sinn des Wortes. (23.4.)