Vice (Vice – Der zweite Mann) von Adam McKay. USA, 2018. Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell, Sam Rockwell, Allison Pill, Liz Rabe, Tyler Perry, Jesse Plemons, LisaGay Hamilton, Eddie Marsan, Justin Kirk

   Donald Trump mag der fetteste Pickel am Arsch sein, den die US-Politik seit Ewigkeiten hervorgebracht hat (und das will wahrlich etwas heißen…), aber er hat zweifellos ein Gutes: Er mobilisiert die Opposition, den liberalen Widerstand im Lande, und plötzlich melden sich all jene wieder zu Wort, die während Obamas Amtszeit stillgehalten hatten aus Respekt vor ihren eigenen Träumen und weil sie vielleicht ihre Enttäuschung darüber nicht eingestehen mochten, dass auch ihr Messias nicht imstande war, Amerika zu einem besseren Land zu machen, jedenfalls nicht in dem erhofften und versprochenen Ausmaß. Aber jetzt gelten andere Regeln und andere Gesetze, und plötzlich ist sie wieder laut und deutlich vernehmbar, die Stimme der empörten Patrioten, die sich völlig zu Recht über den Niedergang jeglicher politischer Kultur in den Staaten echauffieren. Für uns Kinogänger hat das den Vorteil, dass es wieder mehr politisch ausgerichtete Filme gibt und geben wird, und dass diese Filme zumeist ziemlich unterhaltsam sind, weil gerechter Zorn offenbar die Kreativität beflügelt. „Vice“ ist ein perfektes Beispiel dafür, zweieinviertel Stunden politische Satire, bissig, launig, toll.

   Über Dick Cheney weiß man ein paar Dinge: Acht Jahre lang Vize unter George Dabbeljuh, davor schon mal vier Jahre Verteidigungsminister unter George Senior und davor schon viele Jahre unter Nixon und Ford tätig, unter anderem als jüngster Chief of Staff der US-Geschichte. Ein Republikaner aus Überzeugung, nebenbei erfolgreicher Geschäftsmann und Vater einer lesbischen Tochter, was ihn verschiedentlich dazu zwang, seine Karriereschritte genau zu kalkulieren – was er sowieso immer getan hat. Ein immens mächtiger Mann, der mächtigste Vize überhaupt, so heißt es, zugleich aber ein Schattenmann, ein Geist, ein sehr verschwiegener Typ. Gar nicht so leicht, jemandem wie ihm ein vernünftiges filmisches Porträt zu widmen, doch wie die Filmemacher im Vorspann sagen: We did our fucking best.

    Naja, vernünftig im eigentlichen Sinne ist der Film natürlich nicht geworden, wollte er auch nicht werden, und auch nicht ausgewogen oder fair oder sympathisierend oder sonstwas. Wäre ja auch noch schöner gewesen! Das ist soll ja auch keine sauber geordnete, wohl ausgewogene Lebensgeschichte sein, sondern deutlich mehr, nämlich ein Blick auf die politische Kultur der USA, auf die Männer an den sprichwörtlichen Hebeln der Macht und wie sie mit ihrer Rolle umgehen. Wie ticken diese Jungs, was beeinflusst ihre Entscheidungen und von welchen Interessen werden sie geleitet. Da „Vice“ erwartungsgemäß kein besonders staatstragender Film sein will, fällt sein Blick äußerst kritisch aus, und um uns diese etwas niederschmetternde Diagnose schmackhaft zu machen, bedient er sich aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Satire. Spott und Polemik gehören ebenso dazu wie ein bunter Stilmischmasch und ein Erzähler, der sich immer wieder selbst in die Story einbaut und der am Ende sogar sein Herz spendet, um Dick Cheney ein längeres Leben zu ermöglichen. Gipfel der Ironie, klar, und auch hübsch makaber. So geht’s fast die ganze Zeit zu, abwechslungsreich und wie gesagt äußerst unterhaltsam.

   Im Mittelpunkt steht 9/11 und von dort aus geht’s rückwärts und auch noch weiter nach vorn. Wir erleben Cheney auf dem Gipfel seiner Macht, und das weiß er und genießt er trotz der dramatischen Situation. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen, er trofft die wichtigen Entscheidungen und nicht sein einfältiger Präsident im Weißen Haus. Er gibt dem alten Kumpel Rumsfeld grünes Licht für den Abschuss verdächtiger Flugzeuge und er ordnet die sofortige Evakuierung aller wichtiger Personen an. Er ist endlich da, wo er hinwollte, nicht ganz oben, das hat ihm seine lesbische Tochter Mary vermasselt, aber knapp dahinter, und das, obwohl seine Frau Lynne ihm den Job madig machen wollte, ihm gesagt hat, der Vize sei total nutzlos. Das ist aber so ziemlich das einzige Mal, dass er sich über ihren Rat hinwegsetzt. Ansonsten ist sie, die Amy Adams als wunderbar schmallippige Karrierebitch darstellt, die ständige Einpeitscherin in seinem Rücken. Ganz am Anfang, draußen in Wyoming in den frühen 60ern noch, tritt sie ihm gehörig in den Arsch, stellt ihm ein Ultimatum, entweder mit dem Saufen aufzuhören und endlich was auch sich zu machen, oder die längste Zeit mit ihr verheiratet gewesen zu sein, und siehe da, der unstete Knabe setzt sich auf den Hosenboden und zieht eine lupenreine Politikkarriere durch, womit er dann auch wieder ihre Bewunderung und Liebe gewinnen kann. Man bewegt sich strikt im konservativen Umfeld, Burschen wie Don Rumsfeld werden zum Wegbegleiter, erst ein paar Stufen über ihm, aber am Ende wird er sie alle überholen. Ein Taktierer, ein Strippenzieher, ein Leisetreter, der aber genau deswegen geschätzt wird, einer, der genau weiß, was er will und was er dafür tun muss, um es zu kriegen. Sein Aufstieg verläuft durchaus nicht linear, dazu sind die Verhältnisse in den USA über die Jahrzehnte zu turbulent und wechselhaft, doch Cheney hat ein phänomenales Gespür für die richtigen Allianzen, die ihm die erstrebten Vorteile einbringen. Er hat eigentlich nur zwei Achillesfersen: Seine Mary und sein Herz, und beides kriegt er letztlich in den Griff. Soll man ihn bewundern oder fürchten? Das eine eher widerwillig, das andere auf jeden Fall.

   Mit ihm wird eine gesamte Ära porträtiert, eine Kaste, eine Kultur. Die Republikaner dominierten das politische Geschehen in den USA deutlich, allein quantitativ, unter ihnen prägten sich Werte und Gebräuche, die auch die demokratischen Präsidenten kaum umgehen konnten. Krieg und Folter und Überwachung und allerlei Formen der Korruption erlebten eine Blütezeit, und mit zunehmendem Unbehagen verfolge ich im Film, wie sich diese Strukturen etablieren und verfestigen konnten. Cheney und Konsorten waren natürlich zuallererst an der Zementierung der eigenen Macht interessiert, wie alle Politiker in allen Ländern, doch beflügelt von dieser Macht steigerten sie sich teilweise regelrecht in einen Rausch reaktionären Gedankenguts hinein, der auf mich extrem gruselig wirkt. Und wie sie alle dann zartfühlend um den Makel der lesbischen Mary herumeiern, den sich ein exponierter Politiker in diesem verlogenen Land eigentlich nie und nimmer leisten könnte, wie Lynne Cheney einen verbitterten Zug um den Mund nicht verbergen kann, wie Papa Dick jedoch ohne mit der Wimper zu zucken Abschied von seinen Präsidentschaftsambitionen nimmt und sofort daran geht, das Amt des Vize nach seinem Gutdünken auszubauen, das hat schon was. Der dämliche George W. ist genau der richtige für dieses Spiel, und er wird erst sehr viel später kapieren, welche Position sich Cheney da von Anfang an ergattert hat.

   Adam McKay hat als Autor/Regisseur einen in jeder Hinsicht bemerkenswerten Job gemacht, hat das komplexe, enorm faktenreiche Material brillant aufbereitet, hat weder eine trockene Geschichtslektion draus gemacht noch eine alberne Klamotte, hat die Elemente der Satire gut mit den Notwendigkeiten des historischen Bezugs ausbalanciert und vor allem dafür gesorgt, dass der grimmige Spaß nicht zu kurz kommt. Er hat wunderbare Darsteller für die historischen Figuren gefunden, und für meinen Geschmack ragt Christian Bale durchaus nicht heraus, denn diese Art, sich hundert Kilo draufzufuttern und ganz hinter einer Maske abzutauchen, hat mir noch nie besondere Bewunderung abringen können. Was ihm aber trotzdem sehr gut gelingt, sind die kleinen Ticks und Gesten, der schiefe Mund, die fast reglose Mimik, die kleinste Verschiebungen umso spannender macht.

 

   Also, Trump kann ruhig noch ein bisschen weiter herumtoben im Weißen Haus, solange er auch weiterhin solch schöne Satiren inspiriert. Wir in Europa wissen schon, dass wir nicht zu laut lachen sollten… (26.2.)