Us (Wir) von Jordan Peele. USA, 2018. Lupita Nyong’o, Madison Curry, Winston Duke, Evan Alex, Shahadi Wright-Joseph, Elisabeth Moss, Tim Heidecker
Und wieder was gelernt: „Hands across America“ gab es wirklich! Im Mai 1986 bildeten insgesamt sechseinhalb Millionen Leute, unter ihnen jede Menge Promis, mehr oder minder eine Kette quer durch die Staaten, bezahlten ein paar Dollar für ihren Platz in dieser Kette und brachten auf diese Weise, wenn ich Wikipedia glauben soll, mehr als dreißig Millionen für soziale Zwecke auf, von denen allerdings mehr als die Hälfte wieder für organisatorische Kosten draufgingen. Amis werden die Anspielung in diesem Film also sicherlich besser verstehen und vermutlich ganz andere Assoziationen kriegen, wenn am Schluss die rotgewandeten Gestalten eine neue finstere Kette übers Land bilden, eine Kette, die diesmal von Tod und Gewalt begleitet und von Armeehubschraubern beäugt wird. Diese grimmige, sarkastische Travestie auf das neue amerikanische Wir-Gefühl ist sicherlich eine der besten Ideen dieses Films, der zweifellos ein paar beklemmende, beängstigende Momente hat und eine sehr schön fiese Grundidee, dem es aber letztlich nicht wirklich gelingt, seine Absichten zu einem überzeugenden Ganzen zu fügen.
Ein kleines Mädchen namens Adelaide erlebt im Spiegelkabinett anno 86 irgendwas Traumatisches, und gut dreißig Jahre später wird sie, mittlerweile Mutter von zwei Kindern, wieder gegen ihren Willen an diesen Ort gebracht. Eigentlich wollen die vier Wilsons nur Urlaub machen und mit ihren prolligen weißen Freunden, den Tylers abhängen, doch eines Abends stehen plötzlich diese vier Gestalten in Rot draußen vor der Tür, und die sehen aus wie leicht verzerrte Abbilder ihrer selbst. Die Wilsons werden überwältigt, bedroht, terrorisiert, und Adelaides Alter Ego erklärt, wieso und tischt eine recht verwirrende Story auf, die mich zum ersten Mal befürchten ließ, dass Jordan Peele hier ein bisschen seinen Touch verliert. Dann gibt’s Kämpfe und Action und Blut wie in jedem x-beliebigen Horrorfilm, dann gibt’s auch Bilder wie aus „Walking Dead“ oder anderen Endzeitszenarien, und schließlich gibt’s das wilde Finale in einem Tunnel unter der Erde, in dem Mama Adelaide um das Leben ihres Sohnes und gegen ihr grausiges Spiegel-Etwas ringt und scheinbar siegt, nur erfahren wir am Schluss, dass doch die Falsche überlebt hat – wäre ich nie drauf gekommen, nachdem mehrmals Andeutungen in diese Richtung gemacht wurden…
Die ersten vierzig, fünfzig Minuten sind schön effektvoll, bauen geschickt eine äußerst intensive Spannung auf, lassen mich das Schlimmste befürchten, und vor allem ergeben sich immer wieder Momente, in denen ich ahne, dass sich die Rollen auch leicht umkehren könnten, dass nämlich die vermeintlichen Normalos plötzlich zu blutgierigen Mördern werden könnten. Das Böse, Abgründige in uns, und was geschieht, wenn es zum Leben erwacht, das ist durchaus ein tolles Thema fürs Horrorkino, und eine Hälfte lang deutet Peele wie gesagt die Möglichkeiten dieses Stoffs an – um sie dann in der zweiten Hälfte fast fahrlässig zu verspielen. Erstens bauscht er die Story viel zu groß auf, macht gleich wieder ne globale Krise draus (brauch ich echt nicht jedes Mal…), zweitens rückt er konventionelle Slasher-Effekte in den Vordergrund (brauch ich erst recht nicht…), und drittens gerät ihm die Story mitsamt ihrer inneren Logik ein bisschen ins Rutschen, und obwohl ich von einem Horrorfilm natürlich niemals sowas wie Realitätsnähe erwarte, ist mir die besagte innere Logik sehr wichtig, denn das hat was damit zu tun, ob mich die Story fesseln kann, oder ich sie am Ende doch nur für Humbug halte und eher gleichgültig bleibe. Auf Letzteres läuft’s dann hier leider auch heraus – dass die Ehefrau und Mutter Adelaide über dreißig Jahre nun doch ihr eigener Zombie gewesen sein soll, ist ebenso wenig glaubhaft wie umgekehrt und wie die Tatsache, dass diese beiden Geschöpfe so endgültig ihre Rollen getauscht haben sollen – nee, das überzeugt mich irgendwie gar nicht. Dass aus einer durchschnittlichen Normalofamilie in Nullkommanichts coole Killer werden sollen, hat mich auch nicht überzeugt, selbst wenn Jordan Peele damit vielleicht eine gesellschaftskritische Aussage unterbringen wollte. Die kriegt er aber nie wirklich rund und klar zusammen, ebenso wenig wie seine Idee, dass oben auf der Erde das brave Bürgertum sauber und sorglos vor sich hin lebt, während ihre dunklen Hälften ein bizarres und hässliches Dasein unter Tage fristet. Ich habe die ganze Zeit versucht, dieses Motiv irgendwie auf die USA von heute zu übertragen, und irgendwie ist mir das nicht recht gelungen, ich hab jedenfalls keinen greifbaren, klaren Argumentationsansatz gefunden. Auch hatte ich zwei Stunden lang den Eindruck, dass Jordan Peele uns unbedingt was sagen möchte, nur was, das hat sich mir bis zum Schluss nicht ganz erschlossen. Schade - „Get out“ war in dieser Hinsicht deutlich gelungener und besser.
Die beeindruckende und zu Herzen gehende Darstellung Lupita Nyong’os wird mir sicherlich am meisten in Erinnerung bleiben, ansonsten ist „Wir“ einer der zahlreichen Horrorfilme der letzten Jahre, denen zwar eine ganz schicke Idee zugrunde liegt, die es aber nicht fertiggebracht haben, aus einer guten Idee auch einen guten Film zu machen. Klappt offensichtlich längst nicht immer, wie man sieht. (9.4.)