Doubles vies (Zwischen den Zeilen) von Olivier Assayas. Frankreich, 2018. Vincent Macaigne, Guillaume Canet, Juliette Binoche, Christa Théret, Nora Hamzawi, Pascal Greggory
Olivier Assayas meets Eric Rohmer meets Woody Allen – oder so. Hätt ich jetzt auch nicht geglaubt, dass ich einen Film dieses so bemerkenswerten Regisseurs mal mit „ganz nett“ beurteilen würde, was ja normalerweise sowas wie ein Todesurteil ist, denn „ganz nett“ braucht wirklich kein Mensch. Aber viel mehr fällt mir ehrlich gesagt dazu nicht ein, und es scheint mir auch so, als habe Assayas selbst auch nicht viel mehr als das anvisiert. Eine amüsante, gelegentlich auch mal etwas bissigere Satire auf den Pariser Kunstbetrieb, vor allem die Literaturszene, die sich seit einiger Zeit mit neuen Trends, neuen Medien und einem neuen Verbraucherverhalten herumschlagen muss, mit dem Phänomen e-book und der Frage, wie man darauf zu reagieren hat. Ignorieren geht nicht, einfach so alles mitmachen und anbiedern geht irgendwie auch nicht, also was? Die große Kulturnation Frankreich scheint geradewegs auf der Kippe zu stehen. Erst recht, wenn man sich das handelnde Personal anschaut, denn da scheint auch nicht viel Anlass zur Hoffnung gegeben. Man redet gern und viel, hört sich noch viel lieber selbst beim Reden zu, vögelt vorzugsweise auswärts und immer schön querbeet, man bleibt aber dennoch unter sich und achtet sehr darauf, man hält sich auf jeden Fall für Angehörige der gesellschaftlichen oder zumindest doch kulturellen Elite, parliert bei passender (und unpassender) Gelegenheit über die großem Zusammenhänge und die großen Dinge des Lebens, und wenn man nur flüchtig hinschaut, wird sofort klar, dass es mit den kleinen Dingen bereits empfindlich hapert.
So zum Beispiel bei Léonard, einem Schriftsteller, dessen Form- und Erfolgskurve seit einiger Zeit abwärts geneigt ist, der sich dieser Tatsache aber partout nicht stellen will, anders als sein Verleger und Freund Alain, der sein neuestes Werk nicht publizieren will, weil es einfach keinen Profit abzuwerfen verspricht. Alain tut sich mit den erwähnten digitalen Medien etwas schwer, weshalb er die schnieke Laure engagiert hat, eine junge Expertin, mit der er gleich praktischerweise auch ins Bett geht. Seine Frau Selena, eine kapriziöse Seriendarstellerin, schläft dafür mit Léonard, wovon dessen Frau Valérie wiederum gar nichts ahnt. Léonard steht öffentlich häufig unter Druck, weil seine Bücher angeblich stark autobiographisch sind und viele der dort beschriebenen Privataffären auf real existierende Personen zurückgehen sollen. Valérie zieht daraus aber die falschen Schlüsse und wäre von sich aus nie auf Selena gekommen, doch zuletzt machen alle reinen Tisch: Selena macht mit Léonard Schluss, der gesteht den Ehebruch, doch Valérie verzeiht ihm offensichtlich, denn nach einem Besuch bei Alain und Selena sagt sie ihm, dass sie schwanger sie, was bei ihm nicht nur Freude hervorruft, denn er erinnert sich an die vielen vergeblichen Versuche in der Vergangenheit und kann sein Misstrauen sichtlich nicht ganz im Zaum halten. Doch er selbst wird auch ein weiteres Mal zum Betrüger, denn er hat nicht die Absicht, sich an das Versprechen zu halten, das er Selena gab, nämlich ihre gemeinsame Geschichte nicht in seinem nächsten Buch zu verarbeiten. Auf Valéries empörte Reaktion erklärt er nonchalant, er könne eben nicht anders, und Selena müsse eben damit leben, so wie alle vor ihr.
Eine verschmitzte Schlusspointe eines Films, der die Qualitäten der oben erwähnten Vorbilder nicht ganz erreicht. Nicht den unwiderstehlichen, selbstentlarvenden, liebenswürdigen Charme der Nonstop-Dialoge Rohmers und auch nicht den brillanten Wortwitz der besseren Woody-Allen-Filme. Assayas gibt seine Zielrichtung klar und unmissverständlich vor, und es gelingen ihm auch einige scharfzüngige und treffende Bonmots, doch merkt man seinem Film allzu deutlich an, dass er als Regisseur nicht der souveräne Komödiant ist, sondern eher in etwas ernsteren Gefilden zuhause, und so findet er für meinen Geschmack nicht immer ganz den richtigen Ton, die richtige Leichtigkeit und Eleganz. Und erstaunlicherweise, denn er hat ein paar hervorragende Frauenfilme in den letzten Jahren inszeniert, kommt er mit den männlichen Protagonisten deutlich besser zurecht als mit den weiblichen, obwohl sie alle gleich gut besetzt sind, und mit Leuten wie Binoche ist ja sowieso für ein hochklassiges schauspielerisches Niveau gesorgt. Wir bleiben hier weitgehend bei Léonard und seinen gewundenen Wegen durch den Alltag zwischen Meetings im sprichwörtlichen Pariser Café, Schäferstündchen mit Selena oder etwas lieblosen, flüchtigen Begegnungen mit Valérie daheim. Alle haben das eine gemeinsam, dass sie so intensiv mit sich und ihren Geschäftchen beschäftigt sind, dass ihnen total der Blick für die anderen fehlt, gerade das also, was für wirklich gute Künstler essentiell ist. Man kann sich daher ungefähr die Qualität ihrer Erzeugnisse ausmalen, und Assayas versäumt es nicht, diesen permanenten Tanz ums elitäre Kalb gebührend zu karikieren. Das alles ist löblich und über gut hundert Minuten anhaltend amüsant, wird sich in meinem Filmgedächtnis aber sicherlich nicht lange festsetzen, denn es fehlt doch ein wenig an komischen Highlights, und der eitle und oberflächliche Kulturzirkel war noch nie eines meiner bevorzugten Kinothemen, da kann die Satire noch so zündend sein.
Alles in allem also ein sogenanntes Nebenwerk des Herrn Assayas, und ich gehe doch davon aus, dass er sich demnächst wieder interessanteren Sujets zuwenden wird. (14.6.)