1917 von Sam Mendes. England/USA, 2019. George MacKay, Dean-Charles Chapman, Richard Madden, Gerran Howell, Claire Duburcq, Mark Strong, Benedict Cumberbatch, Andrew Scott, Colin Firth

   Der Titel setzt für sich bereits den inhaltlichen und historischen Rahmen dieses Films – eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg, aus den Schützengräben in Nordostfrankreich, einer Hölle aus Dreck, Tod und Grauen. In dieser Hölle werden zwei junge britische Soldaten auf ein Himmelfahrtskommando entsandt: Sie sollen sich quer durch die Frontlinien zu einer anderen Einheit durchschlagen, um einen geplanten Angriff zu verhindern, der in eine Falle und damit zum Verlust von mehr als tausendfünfhundert Menschenleben führen würde. Nur einem der beiden gelingt es tatsächlich, zu überleben, durchzukommen und den bereits befohlenen Angriff zurückordern zu lassen. Ferner gelingt es ihm, den Bruder seines toten Gefährten zu finden und ihm die Todesnachricht zu überbringen. Am Schluss lehnt er sich an einen Baum und schaut über eine überraschend grüne, blühende Landschaft, nachdem er ein Foto seiner Ehefrau und Kinder betrachtet hat.

   Das alte Dilemma des Genres: Egal, wie man es wendet, Krieg kommt doch immer ein bisschen als männliches Abenteuer daher, als Adrenalinflash, und nur ganz wenige Regisseure/Autoren schaffen es, eine etwas distanziertere, analytischere Ebene zu finden. Andere, auch vergleichsweise wenige, schaffen es, publikumswirksam, dramatisch und dennoch substantiell überzeugend und menschlich greifbar zu erzählen. Sam Mendes ist das meiner Meinung nach gelungen. Ein Film über den Krieg, über Menschen im Krieg, über Leben und Sterben im Krieg, und das ist ja fast schon alles, worum es geht, wenn man nicht gerade eine politisch argumentierende Studie machen will – und wie man am Beispiel der vielen misslungenen Kriegsfilme sieht, ist das gar nicht leicht zu bewerkstelligen. „1917“ ist ungemein intensiv, spannend, schmerzhaft eindringlich, er hat mich zwei Stunden lang fest im Griff gehalten und doch ziemlich bewegt. Und obwohl Mendes‘ viel besprochener Trick, fast ohne sichtbare Schnitte zu drehen, anfangs auf mich noch etwas manieriert wirkt, sorgt gerade das für die mitreißende, fulminant dynamische Erzählweise, die uns einfach an die beiden jungen Soldaten bindet und uns mitzieht durch ihre alptraumhafte Reise. Eine Reise, und das war mir als Thema, als Motiv sehr wichtig, durch eine verwüstete, zerfurchte, aufgerissene, blutende Landschaft voller Stacheldraht, Krater, Menschen- und Tierkadavern, bevölkert von toten Bäumen und geisterhaft uniformierten Gestalten, selbst mehr tot als lebendig zwischen Angst, Verzweiflung und Wahnsinn. Der Versuch, zu überleben, Mensch zu bleiben, ist das Einzige, was geblieben ist, vielleicht noch die Erinnerung an eine Zeit vor dem Krieg und die Sehnsucht, wieder dorthin zu kommen. Einige höhere Offiziere halten sich an jenem fürchterlichen Kadaverdenken fest, das vermutlich hunderttausende in den Tod trieb, und das uns hier zuletzt auch begegnet in Gestalt des Colonels, der lieber seine Männer opfert, als einen Befehl zu überdenken oder gar zurückzuziehen. Dass er es dann aber doch tut, ist dann fast ein kleines Wunder, leider nur ein kleines innerhalb dieser großen Katastrophe. Der letzte Blick, der Traum von grüner, unberührter Landschaft, schmerzt umso mehr, als er in bitterem Kontrast zur apokalyptischen Gegenwart steht.

   Künstlerisch finde ich „1917“ insgesamt ziemlich eindrucksvoll. Die Kamera von Roger Deakins ist natürlich ein Ereignis für sich, aber auch die Darsteller sind große Klasse, und selbst renommierte Stars in Nebenrollen nehmen sich vollkommen zurück. Drehbuch und Regie verlieren trotz der zwei Stunden Spielzeit niemals ihre Dichte und Spannung, und den Szenenbildnern ist es gelungen, den Schauplatz Krieg mit größtmöglicher Plastizität auf die Leinwand zu bringen, ihn streckenweise fast physisch nacherlebbar werden zu lassen. Hier geht es eben nicht um Distanz, hier geht es um Mitfühlen und Mit-Leiden, aber nicht im negativen Sinne. Dass Krieg ein mörderischer, durch nichts zu rechtfertigender oder zu erklärender Wahnsinn ist, muss hier an keiner Stelle explizit gesagt werden, es wird allein in den Schreckensbildern von Menschen und Tod deutlich. Das ist keine leichte, selbstverständliche Sache, das gelingt auch längst nicht in jedem Kriegsfilm und zeugt in diesem Fall von den beachtlichen Qualitäten der Regie und der Darsteller. Wenn man sich also ein weiteres Mal mit dem Thema Krieg auseinandersetzen möchte, was ich durchaus nicht immer kann oder will, ist dieser Film auf jeden Fall empfehlenswert. ˜˜˜˜ (27.1.)