Das Vorspiel von Ina Weisse. BRD/Frankreich, 2019. Nina Hoss, Ilja Monti, Simon Abkarian, Serafin Mishiev, Jens Albinus, Thomas Thieme, Winnie Böwe, Torsten Merten, Sophie Rois
Bürgerliche Dramen aus dem Künstler- und Akademikermilieu haben zurzeit hierzulande offenbar Konjunktur. „Prélude“, „Lara“, „Das Vorspiel“, das sind drei innerhalb ziemlich kurzer Zeit, und sie haben vieles gemeinsam: Allesamt feines Handwerk, allesamt edel gefilmt, bestens besetzt, hochklassig gespielt - doch auf der Relevanz-Skala im Vergleich zum Ken-Loach-Film ungefähr am entgegengesetzten Ende angesiedelt, jedenfalls was mich betrifft. Manchmal stört mich das nicht weiter und ich kann mich auf den Kontext des jeweiligen Films einlassen, ohne zu vergleichen. Heute ist mir das nicht recht gelungen, und so verließ ich das frühnachmittägliche Kino mit einem leichten Egal-Gefühl. Das hat nichts mit den künstlerischen Qualitäten von „Das Vorspiel“ zu tun, sondern schlicht mit seinem Thema.
Natürlich ist Nina Hoss wie immer toll als die dünnhäutige, hochgradig unsichere, neurotische und von irgendwas, von dem ich nur vage Ahnung bekomme, zugleich getriebene und gelähmte Geigenlehrerin, die gegen das Votum ihrer Kollegen einen Jungen zum demnächst anstehenden Vorspiel vorbefreiten und aufbauen will. Im gleichen Maße, wie sie sich für den jungen engagiert, entfremdet sie sich ihrer eigenen Familie. Ihr Gatte ist Geigenbauer, beobachtet sie zunehmend besorgt und distanziert, der Sohn, den sie auch zum Geigenspielen nötigt, reagiert zunehmend abweisend und zuletzt aggressiv und eifersüchtig. Alles hier ist Beklemmung, ist Wortlosigkeit, ist Lüge und Ausweichen, und das hat Ina Weisse zusammen mit der wie gewohnt fabelhaften Kamerafrau Judith Kaufmann perfekt und sehr feinfühlig eingefangen. Für Zwischenmenschliches zeigt die Regisseurin analog zu ihren Stärken als Schauspielerin ein besonderes Händchen, die klaren, winterlichen Bilder drängen sich nie auf, sondern lassen den Akteuren stets den nötigen Raum, und einige Momente, so kurz sie auch sein mögen, fangen sie ungute Atmosphäre zwischen fast allen Personen hier mit bemerkenswerter Präzision ein. Die Besetzung ist wie bereits erwähnt durchweg erstklassig, allerdings hätte ich mir persönlich gewünscht, dass die wunderbare Sophie Rois mit ihrem ganz speziellen giftigen Schalk ein wenig mehr zum Zuge gekommen wäre, vor allem auch als Gegenstück zu dem bekannt heiligen Ernst der Nina Hoss.
So weit, so gut. Was aber helfen mir all diese unbestreitbaren Vorzüge, wenn mich die Geschichte an sich nicht zu berühren vermag? Wenn mich weder die Probleme und Befindlichkeiten der handelnden Personen interessieren noch das Milieu, in dem sie sich bewegen. Die kausale Verkettung von selbst erlittenen Zurückweisungen und Kontrollzwang, von selbst erlebten Niederlagen und übertriebenem Perfektionismus ist nicht neu, und das Drehbuch kann dem Kanon auch nichts Neues hinzufügen. Die Ursachen für Annas oft erratisches Verhalten bleiben im Unklaren, werden lediglich angedeutet, doch daraus bezieht „Das Vorspiel“ keine Spannung. Die ambivalente Geigenlehrerin Anna bleibt mir ebenso fremd wie ihr ambivalenter Ehemann oder der ebenso ambivalente Schüler, der am Ende nach dem wider Erwarten gelungenen Vorspiel durch die Heimtücke des ambivalenten Sohnes zu Fall kommt. Zuviel Mehrdeutigkeit kann schlussendlich auch den Zugang verstellen zur Handlung und den Menschen. Ich wünsche mir, dass Ina Weisse ihre unbestreitbaren Fähigkeiten als Filmemachern beim nächsten Mal in eine Story investiert, die mir näher ist als diese hier. (16.2.)