The perfect candidate (Die perfekte Kandidatin) von Haifaa Al Mansour. Saudi-Arabien/BRD, 2019. Mila Al Zahrani, Nora Al Awadh, Dae Al Hilali, Khalid Abdulraheem, Shafi Al Harthy
Den einen kleinen „Wadjda“-Moment gegen Ende gibt’s dann schließlich doch: Der knurrige und dahin höchst abweisende alte Opa-Macho bezeugt der jungen Ärztin, die ihm vermutlich das Leben gerettet hat, ganz unerwartet seinen Respekt und gesteht ihr gar, er habe ihr bei der Wahl zum Gemeinderat seine Stimme gegeben. Maryam hat die Wahl zwar gegen ihren feisten, eingebildeten männlichen Konkurrenten verloren, doch versichert ihr der Opa, sie habe eigentlich den Sieg verdient gehabt. Und da wird Maryam ein kleines Stückchen größer, schaut ihn gerade an und bestätigt, ja, das denke sie auch. Sodann schreitet sie jene Straße vor dem Krankenhaus hinab, für deren Asphaltierung sie sich in ihrer Wahlkampagne so energisch eingesetzt hat, und fährt mit ihrem Auto davon.
Das Mädchen Wadjda konnte einst ihren Traum vom eigenen Fahrrad verwirklichen, ihre ältere Schwester Maryam scheiterte knapp vor dem großen Ziel, doch geht sie dennoch gestärkt aus dieser Erfahrung hervor, singt selbstbewusst auf einer Hochzeit jenes Lied, das schon ihre verstorbene Mutter immer sang und das ihrem noch immer trauernden Vater sehr am Herzen liegt. Dies ist zweifellos eine Geschichte vom Wachsen, vom Stärkerwerden, vom Mutigerwerden, vom Gesehenwerden – alles aus Sicht einer Frau in Saudi-Arabien, wo Frauen bekanntlich nicht allzuviel zu melden haben. In „Wadja“ lernten wir schon, dass Frauen weder Auto noch Fahrrad fahren dürfen, hier lernen wir, dass Frauen nicht ohne das Einverständnis ihres männlichen Vormundes verreisen dürfen. Und so entwickelt sich ein geplanter Bewerbungstrip nach Riad flugs in eine ganz unerwartete Richtung, denn als Maryam versucht, dieses Einverständnis bei einem Verwandten einzuholen, gerät sie ganz zufällig an die Unterlagen zur Kandidatur für die bald anstehende Gemeinderatswahl, und eher aus Trotz und Verzweiflung rafft sie das Papier an sich, und ehe sie sich‘s versieht, ist sie plötzlich Kandidatin. Mit Hilfe ihrer mediengeschulten Schwester bastelt sie sich einen Zehnpunkteplan zurecht, und mit zunehmender Dauer findet sie Gefallen an ihren Vorhaben, bis sie schließlich all ihr Herzblut in die Kampagne investiert. Ihre nun folgenden wechselhaften Erfahrungen werden mit jenem sanften, aber durchaus frechen und hellsichtigen Humor geschildert, der auch schon den Wadjda-Film so zauberhaft gemacht hat. Haifaa Al Mansour muss auch diesmal keine lauten, kämpferischen Töne anschlagen, sie bleibt ganz alltäglich, lässt uns das äußerst witzige Miteinander der drei Schwestern genießen und auch Maryams gelegentliche Konfrontationen mit der zunehmend irritierten Männerwelt, denn aus der zurückhaltenden, in der Öffentlichkeit eher schüchtern auftretenden jungen Ärztin wird unerwartet eine recht zielstrebige und mutige Frau, die sich letztlich nicht scheut, unverschleiert vor die versammelten Herren hinzutreten und sie eindringlich von ihrer Präsenz zu überzeugen. So kann eine verschmitzte Komödie durchaus wirkungsvoller sein als ein dröhnendes Pamphlet, obwohl die Geschlechter-Verhältnisse in Saudi-Arabien letzteres fraglos rechtfertigen würden.
Doch Al Mansours Weg ist ein anderer, und das ist sehr charmant und unterhaltsam, und nie würde ich auf den Gedanken kommen, die Filmemacherin verrate die Sache der Frauen, verharmlose oder verkaufe das Thema an das Gefälligkeitskino. Nichts von dem trifft zu. Der Film trifft haargenau dort, wo er treffen will und soll, nur tritt er nicht als Kriegsfilm auf, sondern als sanfte Lektion in Sachen Emanzipation und Identitätsfindung. Der Blick für die Verhältnisse im Land ist trotz der trügerischen Harmlosigkeit der Oberfläche ziemlich scharf, denn es geht hier nicht um extreme und Exzesse, sondern um strukturelle Dinge, um ein System, das seit jeher fest etabliert zu sein scheint und in dem die Frauen ihren scheinbar unverrückbaren Platz haben. Al Mansour nimmt diese Selbstverständlichkeit und Alltäglich und bohrt an vielen Stellen kleine Löcher hinein, und genau das macht diesen neuen Film zu einem ebenso großen Vergnügen wie „Wadjda“. Ich hoffe sehr, dass diese fabelhafte Regisseurin noch einige Filme aus ihrer Heimat präsentieren kann, denn sie sind ebenso selten wie kostbar. (1.7.)