Les plus belles années d’une vie (Die schönsten Jahre eines Lebens) von Claude Lelouch. Frankreich, 2019. Anouk Aimée, Jean-Louis Trintignant, Antoine Sire, Souad Amidou, Marianne Denicourt, Monica Bellucci

   Anno 66 fabrizierte Claude Lelouch an den Stränden von Deauville zusammen mit seinen beiden Stars und der süffigen Cocktailmusik von Francis Lai eine Liebesgeschichte, die hundertprozentig in ihre Zeit passte – chique, stylish, cool, très élégant und sehr französisch. Champagner mit einem Hauch Melancholie, und diese Mischung kam damals unerhört gut an, und wem das zu oberflächlich war, der konnte sich wenigstens an den beiden höllisch attraktiven Liebenden erfreuen. Zwanzig Jahre später hat Lelouch die Geschichte schon mal weitergesponnen, aber den Film kenne ich nicht. Und jetzt nach über fünfzig Jahren lässt er Anne und Jean-Louis nochmal auf die Leinwand los, vermutlich zu ihrem letzten Aufeinandertreffen. Sie haben sich viele Jahre lang nicht gesehen, sie schmeißt einen kleinen Laden in  der Normandie, er lebt dort in einem Altenheim hart am Rande der Demenz, und weil das so ist und er ein unzugänglicher, sperriger alter Mann geworden ist, der immer nur von der einen großen Liebe spricht, macht sein Sohn sich die Mühe, diese eine große Liebe aufzuspüren und sie zu bitten, ihn zu besuchen, um so vielleicht doch noch einmal sein unsicheres Gedächtnis anzukurbeln. Und tatsächlich setzen ihre Besuche etwas in Gang, auch wenn er sie offenbar nicht recht erkennt oder beim Namen nennen kann, doch er lebt noch einmal auf, erlebt zumindest in Träumen einige flotte Abenteuer und besucht mit ihr zusammen tatsächlich noch einmal das Hotel in Deauville, wo einst ihre Romanze ihren Anfang nahm. Und auch für sie wird die gemeinsam erlebte Zeit von einst noch einmal präsent, und die Erinnerung lässt sie sichtlich nicht unberührt.

   Sie ist noch immer eine bemerkenswerte Erscheinung, er ist ein alter Rennfahrer und Schwerenöter, der nun im Rollstuhl sitzt und dem leben nicht mehr sonderlich viel abgewinnen kann, doch wenn Lelouch all dies beiseitelässt, und nur die beiden in konzentrierter, inniger Konversation filmt, dann entsteht noch einmal, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen natürlich, so etwas wie die alte Magie, die dieses Leinwandpaar damals so populär machte. In diesen Momenten lebt der Film, und es ist fast völlig wurscht, was die beiden sich da erzählen, es zählen ihr Beisammensein, ihre Nähe, ihre Blicke, und auch wenn er nicht zu verstehen scheint, dass diese Frau dort tatsächlich jene Anne ist, an der er noch immer hängt, ist die Chemie zwischen den beiden sofort da. Dazu müssen sich Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant gar nicht anstrengen, sie müssen einfach präsent sein, und das sind sie wahrhaftig, und dass sie beide schon hoch in den Achtzigern sind, vergesse ich zwischendurch. Lelouch hat sich um eine „Story“ im herkömmlichen Sinn nicht viel Gedanken gemacht, um sowas wie Dramaturgie erst recht nicht, er hat Momente in Szene gesetzt, Stimmungen, Emotionen. Angereichert mit ausführlichen Reminiszenzen an 1966, und so ist ein ungeniertes und ebenso charmantes und wunderbar anzuschauendes Stück Nostalgie entstanden, das vom Alter in all seinen Erscheinungsformen erzählt, aber auch von der Erinnerung, der Liebe und der Frage, was vom Leben noch zu erwarten ist mit fast neunzig. Selbstmitleid umgeht Lelouch ebenso sicher wie Sentimentalität, vielmehr lockert er die Zeitreise mit viel Selbstironie und zärtlichem Humor auf, und gerade seine Missachtung für die in solchen Filmen gewöhnlich anzutreffenden Erzählkonventionen empfand ich als äußerst erfrischend und amüsant.

 

   Alles in allem ein total schöner Film mit zwei großartigen Stars, und wenn ich diese Rückblenden von früher sehe, ist da wieder diese unwiderstehliche Rausch der Nouvelle Vague, die in den späten 50ern und 60ern das Kino erneuerte und der Lelouch hier seine Reverenz erweist – auch das hat viel mit Nostalgie zu tun…˜˜˜˜ (14.7.)