Enfant terrible von Oskar Roehler. BRD, 2020. Oliver Masucci, Hary Prinz, Katja Riemann, Erdal Yıldız, Michael Klammer, Felix Hellmann, Antoine Monot jr., Anton Rattinger André Hennicke, Jochen Schropp, Markus Hering, Frida-Lovisa Hamann, Lucas Gregorowicz, Simon Böer, Eva Mattes, Désirée Nick, Meike Droste, Isolde Barth
RWF und Oskar Roehler – das passt erstmal, zwei Exzentriker, auf die gern das Attribut „enfant terrible“ gemünzt wird. Und wer weiß – vielleicht ist der Roehler eitel genug, um sich selbst auch ein bisschen mit zu meinen, wenn er diesen Titel wählt. Eine Hommage an Fassbinder, sein Werk, seine Clique, sein unermüdliches, fieberhaftes Schaffen, seinen unermüdlichen Kampf gegen die Zeit, seine kompromisslose Haltung als Künstler, seinen kompromisslosen Ausdruckswillen als Filmemacher und seinen kompromisslos selbstzerstörerischen Lebensstil, dem er den frühen Tod mit siebenunddreißig verdankt. Das rastlose Rauchen, Saufen, Koksen, die rastlose Suche nach Liebe (die eher eine Jagd war), das rastlose Tyrannisieren, Schikanieren, Manipulieren seiner Entourage, die trotz allem oft jahrelang bei der Stange blieb, obwohl er die Liebhaber ständig wechselte und sich offensichtlich (so wird hier jedenfalls behauptet) einen Spaß daraus machte, abgelegte Lover auch mal vor versammelter Mannschaft zu demütigen. Ein Egozentriker, ein totaler Workaholic, ein mieses Dreckschwein, ein verletzlicher Mann, ein Getriebener, kurz, die ideale Kultfigur für ein Porträt wie dieses, das sich zwar grob chronologisch gibt, aber in seinen Episoden nur einige wenige Geschichten aus Fassbinders Leben und Schaffen herauspickt, von den Anfängen am Münchner Theater bis hin zu „Querelle“. Roehler geht in seiner Hommage so weit, dass er selbst einen Fassbinderfilm gemacht hat – buntes Kunstlicht, durchgehende Studiobauten, aufgemalte Dekors, oft gestelztes Schauspiel. Leben und Schaffen als untrennbar verbundene Schlachtfelder, die bei Fassbinder zwangsläufig ineinander griffen, da er zwischen 1969 und 1982 praktisch unentwegt arbeitete und mit seinen Mitarbeitern oft eng zusammen lebte. Von denen kommen hier sehr viele vor – Raab, Schygulla, Salem, Kaufmann, Baer, Berling, Lommel, Meier, Ballhaus, Raaben, Mira, Valentin, Spengler und so weiter. Roehler hat all das ihm zur Verfügung stehende filmische Temperament aufgebracht (und das will etwas heißen), um diesen turbulenten, künstlerisch immens fruchtbaren, menschlich aber auch vielfach äußerst destruktiven Beziehungsreigen angemessen ins Licht zu setzen. Und natürlich steht RWFs Ego ganz im Mittelpunkt, alle anderen flankieren, werden benutzt, weggeworfen, umworben, angeschrien, angetrieben, alles im Dienste Fassbinders unermüdlicher Energie und Schaffenswut. Der Film muss deshalb fast zwangsläufig so sein, wie er ist, aber das ist eben Geschmackssache. Genau wie Fassbinders Filme selbst, oder sehr viele von denen, die ich gesehen habe, empfand ich ihn früher oder später als ermüdend, mit zunehmender Dauer immer mehr, und da er leider auch ziiiemlich lange dauert, wollte für mich die letzte halbe Stunde irgendwie nicht enden. Das ständige Suhlen in Extremzuständen, das vielfache Wiederkäuen derselben Themen, sind am Schluss auch für die Zuschauer eine anstrengende Sache, und genauso habe ich „Enfant terrible“ empfunden. Zumal Roehler seiner Betrachtung nach spätesten einer Stunde nichts Neues mehr hinzufügen kann – RWF richtet sich systematisch zugrunde, filmt wie im Wahn pausenlos und bewegt sich als Mensch zwischen Diktator und empfindsamem kleinen Jungen. Das haben wir irgendwann verstanden, und viel mehr erfahren wir von Fassbinder dann nicht. Der Hauptdarsteller Oliver Masucci, der bis zuletzt viel zu alt für die Rolle ist, am Anfang glatt doppelt so alt, ist vielleicht mit Bedacht gewählt, verstellt aber dadurch den Blick auf die Tatsache, dass da Ende der 60er ein ganz junges Baby Face auf die Münchner Kulturbühne trat und eben nicht der verbrauchte, verlebte Typ mit Fusselbart aus den späten Jahren. Fassbinder, so scheint Roehlers Lesart zu sein, war von Anfang an ein alter Mann, der im kleinen Finger mehr Leben und Weisheit hatte als all die einfältigen Freaks, die ihn oft umgaben. Naja, dieser Sichtweise muss man sich ja nicht unbedingt anschließen…
Inhaltlich und stilistisch und in seiner Attitüde zwischen Pose und Tiefgang, schriller Exzentrik und tieferem Gefühl ist Roehlers Film sicherlich ziemlich angemessen und daher vermutlich ähnlich konsequent wie Fassbinders Filme auch. Mehr als ein Abklatsch aber kann er daher nicht sein, eigene künstlerische Akzente wollte Roehler offenbar gar nicht setzen, verpflichtet sich ganz dem Erbe Fassbinders, der allerdings, so finde ich jedenfalls, in seinem Leben alles gesagt hat (und sich dabei, so finde ich auch, selbst ganz schön oft wiederholt hat…). Fassbinderfans werden diesen Film daher womöglich mögen und willkommen heißen. Ich war aber nie ein Fassbinderfan und werde es durch „Enfant terrible“ auch sicherlich nicht werden… » (7.10.)