For Sama (Für Sama) von Waad al-Kateab und Edward Watts. Syrien/England, 2019.
Film eins nach dem Lockdown (eines jener Unwörter, die uns wohl noch eine Weile begleiten werden), und natürlich ist es erstmal mehr als erfreulich, wieder ins Kino gehen zu dürfen, auch wenn ich gern zugeb, dass ich dieses „Opfer“ ohne Probleme aushalten konnte, zumal ich als Altenpfleger natürlich eine ganz andere Perspektive habe als jene, die mit allen Mitteln nach „Normalität“ streben (noch so’n Unwort…).
„Erfreulich“ in diesem Sinn ist dieser Film hier natürlich nicht – er ist extrem eindrucksvoll und stark, aber als eine Art persönlicher Dokumentarfilm aus dem fürchterlichen syrischen Bürgerkrieg eher so etwas wie ein Alptraum. Einer mit Botschaft allerdings, einer Botschaft der Liebe und der Zuversicht trotz aller Verluste und Traumata, und darauf legt die Filmemacherin und Journalistin Waad al-Kateab besonderen Wert.
Sie widmet dem Film ihrer Tochter Sama, die inmitten der Bomben geboren wird, mitten in Ost-Aleppo, dem Zentrum des Widerstands gegen Assads Terrorregime, in einem Krankenhaus, das ihr Vater aufgebaut hat und mit befreundeten Ärzten und Pflegern aufrecht erhält, bis zuletzt, als die Russen schon alle anderen Krankenhäuser in diesem Teil der Stadt zerschossen haben. Sama wird keinen Frieden erleben – Bombenangriffe, Gas, Jagdflieger über der Stadt, die ständige Angst, die schrittweise Zerstörung ganzer Viertel. Die älteren Kinder in ihrer Umgebung gehen mit Begriffen wie Sprengbombe, Tod und Sterben auf schreckliche Weise normal um, dies ist ihre Alltäglichkeit und sie sprechen darüber mit der Selbstverständlichkeit derjenigen, die all dies Tag für Tag erleben. Waad und ihr Ehemann hängen entschlossen an ihrem Traum von Freiheit und einem Ende des Diktators, und sie riskieren viel dafür, kehren sogar einmal nach Syrien zurück, nachdem sie seine Eltern in der sicheren Türkei besucht haben. Auch die Tochter nehmen sie mit, weil sie ihr ein Beispiel sein wollen für Idealismus und Mut und Loyalität zu den Mitstreitern. Erst ganz zum Schluss, als die Russen ein Angebot machen, das ihnen freien Abzug um den Preis eines Lebens im Exil zusichert, ergreifen sie zusammen mit den andern Verbliebenen diese Chance, weil alles andere den sicheren Tod bedeuten würde. Die Trauer und Bitterkeit über dieses Ende sind dennoch deutlich spürbar, die Einsicht, dass alles vielleicht umsonst war und dass nun vor ihnen eine vollkommen ungewisse Zukunft liegt. Dennoch endet er Film nicht resignierend, denn Waad hat ihn wie gesagt für ihre Tochter gemacht, und die ist die Zukunft.
Es gibt ein paar Momente, die nur schwer auszuhalten sind – das blutige Sterben, die schwer verletzten Kriegsopfer im Krankenhaus, der verzweifelte Kampf der Ärzte um das Leben jedes Einzelnen, die vielfache Vergeblichkeit dieses Kampfes, die nach kurzer Trauer und Leere immer wieder in neue Entschlossenheit umschlägt. Ein zunächst lebloses Kind wird per Notkaiserschnitt aus der verletzten Mutter geholt und endlos lange gerüttelt und abgeklatscht, bis es tatsächlich zum Leben erwacht – so lange habe ich schon ewig nicht mehr den Atem angehalten. Dazwischen kurze Augenblicke der Freundschaft, der Nähe, der Versuch, so etwas wie ein Familienleben herzustellen. Waad erzählt von sich, von früher, von den Anfängen des Bürgerkriegs, wie alles so hoffnungsvoll begann und dann allmählich und unaufhaltsam immer schlimmer und aussichtsloser wurde, weil die Weltgemeinschaft mal wieder nur zusah, und stattdessen die Russen ihre Bomber schickten, weil sie natürlich die „Stabilität“ durch den Diktator bevorzugten. Das kennt man ja aus anderen Kontexten schon von früher. Waads extrem unmittelbaren Bilder sind Zeugnis und Fanal, dokumentieren die oft unbeschreiblichen Lebensumstände der Menschen in der zerstörten Stadt Aleppo, ihr Leiden, ihre Verzweiflung, aber auch ihren Zusammenhalt und ihren. Es sind Bilder, die zumeist schon ohne Worte wirken, doch Waad besteht darauf, sich immer wieder an ihre Tochter zu richten, oft scheinbar erklärend und rechtfertigend, und in ihren Worten nimmt sie oft spätere Vorwürfe und Anklagen vorweg, die ihre Tochter vielleicht mal an sie richten wird. Auch dieser Konflikt wird hier ausgetragen, wenn auch auf einer ganz anderen, ganz intimen Ebene, und genau diese Intimität macht den Film unter seinesgleichen so besonders.
Mit uns in Europa hat all das hier natürlich gar nichts zu tun – wenn ich aber das nächste Mal auf Arbeit mit meinen syrischen Kollegen zu tun habe, kann ich mir vielleicht wenigstens ansatzweise vorstellen, was die zum Teil durchgemacht haben könnten. Ein nicht geringer Verdienst eines auch sonst außerordentlichen Films. (29.6.)