J’accuse (Intrige) von Roman Polanski. Frankreich 2019. Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner, Grégory Gadebois, Melvil Poupaud, Hervé Pierre, Wladimir Yordanoff, Didier Sandre, Vincent Perez, Mathieu Almaric, Laurent Stocker, Eric Ruf, Michel Vuillermoz, André Marcon
Die vielfach publizistisch und anderweitig künstlerisch ausgestaltete Affäre Dreyfus bildet den Hintergrund für Roman Polanskis neuesten Film (wie viele will der mit über Mitte achtzig wohl noch machen…?), und wer zweieinviertel Stunden Zeit und ein wenig Geduld mitzubringen bereit ist, kann Zeuge werden, was dabei rauskommt, wenn sich ein alter Profi dieses Themas annimmt. Ohne jeden Schnörkel, ohne eitlen Firlefanz, ohne unnötigen Effektballast erzählt Polanski präzise und hoch konzentriert diese historische und andererseits gar nicht so historische Geschichte von Machtmissbrauch, Antisemitismus, Lüge, Korruption und Gewalt, und obwohl Polanski gar nichts dazu tut, sind die unguten Parallelen zu dem, was sich in den letzten Jahren in vielen Ländern entwickelt hat, unübersehbar.
Ein jüdischer Offizier wird 1985 des Hochverrats für schuldig befunden und in die Verbannung auf die Teufelsinsel geschickt. Ein anderer Offizier, der das Urteil nie in Frage gestellt hätte und den man auch gut und gern als „ganz normalen“ Antisemiten bezeichnen könnte, gerät zufällig an Unterlagen, die die Untersuchung an sich in zunehmend zweifelhaftem Licht erscheinen lassen, und je mehr er nachforscht, desto gravierender werden die Ungereimtheiten. Leider ist er mit seinem Gerechtigkeitssinn ganz allein, denn die ranghohen Militärs wollen von einer Wiederaufnahme oder gar Rehabilitierung des lästigen Juden nichts wissen, und als der Herr Picquard nicht locker lässt und sogar den wahren Schuldigen identifizieren kann, wird der Spieß kurzerhand umgedreht, die Macht schlägt zurück, und bald findet sich Picquard selbst hinter schwedischen Gardinen wieder. Dennoch wächst der Druck aufs Militär, der berühmte Émile Zola verfasst seinen aufsehenerregenden flammenden Brief „J’accuse“ und rührt damit die Öffentlichkeit auf, Dreyfus wird zurück nach Frankreich verlegt, in einem neuerlichen, gleichsam farcenhaften Prozess wiederum für schuldig befunden, geht dann aber einen von vielen als faul empfundenen Kompromiss ein und entgeht somit einer erneuten Inhaftierung, Picquard wird ebenfalls rehabilitiert und ins Ministerium berufen, wo er und Dreyfus ein letztes Mal aufeinandertreffen.
Der Altmeister inszeniert im Stil eines souveränen Erzählers, der nichts mehr beweisen muss und der seine gesamte Erfahrung in den Dienst der Geschichte stellt. Kongenial agieren die Schauspieler, ganz schlicht, jederzeit mannschaftsdienlich, und kongenial wie immer ist auch Pawel Edelmann als Kameramann, der kühle, leicht entfärbte Bilder findet und nur das Rot als Signal hervorstehen lässt. Dazu ein angenehmer und effektvoller sparsamer Soundtrack, den ich mit dem Namen Alexandre Desplats so gar nicht in Verbindung bringen würde, und aus alledem ist ein spannendes, eindrucksvolles Polit- und Geschichtsdrama entstanden und auf jeden Fall Polanskis bestes und aussagestärkstes Werk seit „Der Pianist“. (10.2.)