La vérité/Shinjitsu (La vérité – leben und lügen lassen) von Hirokazu Kore-eda. Frankreich/Japan, 2019. Catherine Deneuve, Juliette Binoche, Ethan Hawke, Clémentine Grenier, Christian Crahay; Alain Libolt, Manon Clavel, Ludivine Sagnier
Was lerne ich aus diesem Film? Magie lässt sich nicht exportieren oder beliebig in eine andere Sprache, einen anderen kulturellen Kontext übersetzen. Wirkten Kore-edas Filme bislang, soweit ich sie denn überhaupt sehen konnte hierzulande, auf berauschende Weise intensiv und kontemplativ und meditativ und irgendwie auch weise, so ist „La vérité“, sein erstes Werk außerhalb Japans, bestenfalls nett. Dabei macht er gar nicht soviel anders als daheim, es wirkt nur irgendwie anders. Sein ganz spezieller Erzählrhythmus, seine Art und Weise, mit Menschen, Gruppen, Familien umzugehen, sie zu beobachten, zu begleiten, wachsam doch nie indiskret, passt perfekt ins japanische Setting – hier in Paris kommt mir der ganze Film eher etwas behäbig und gediegen vor. Auch hier geht es in erster Linie um Familie, um unbewältigte Altlasten, um Vorwürfe, Stolz, Hochmut, Bitterkeit, aber auch um verschiedene Spielarten von Liebe und Zuneigung. Wie gewohnt wird eine kleine Gruppe von Menschen in einem eng umgrenzten Milieu ins Visier genommen, und Kore-eda bemüht sich sichtlich darum, seinen unverwechselbaren Ton, gemischt aus aufmerksamem Ernst und zärtlicher Ironie, auch in diesem fremden Kontext zur Geltung zu bringen. Und das schafft er auch über weite Strecken, nur fehlt diesem Film im Gegensatz zu seinen früheren Meisterwerken diese ganz besondere innere Spannung, die immer dafür sorgte, dass ich auch mal über mehr als zwei Stunden fasziniert und absorbiert zugesehen habe. Die gut hundert Minuten erschienen mir diesmal deutlich länger, ich durchlebte einige Durchhänger und Wachsamkeitslücken zwischendurch, was mir angesichts der wieder mal recht späten Stunde nicht sonderlich gut tat.
Catherine Deneuve ist glänzend als alternde, launische, eitle, hochnäsige Diva, die neben sich keinen Gott gelten lässt, und um deren Liebe ihre Tochter Lumir lebenslang vergeblich buhlte. Juliette Binoche steht ihrer Frau Mama natürlich in nichts nach, und so entwickeln sich einige bemerkenswert gut gespielte Momente zwischen vorsichtiger Annäherung und schroffer Zurückweisung, um drum herum gruppieren sich Lumirs quirlig-charmante kleine Tochter, der Gatte Hank, ein liebenswürdiger Schluffi aus den USA, und Mamans Entourage, die längst gelernt hat, mit den Zicken und Macken der Diva zu leben. Zwischen dem Familienanwesen in Paris und dem Filmstudio pendelt das Geschehen eher ereignisarm und gemächlich dahin – das an sich wäre kein Problem, das trifft auf Kore-edas frühere Filme gleichsam zu. Irgendwie aber hat er es diesmal nicht geschafft, zum Kern der Dinge vorzudringen, etwas tiefer ins Innere der beteiligten Personen zu schauen, denn Deneuve und Binoche wären nicht sie selbst, wenn sie ihre letzten Geheinisse nicht entschlossen bewahren würden. So schaue ich dem Duett zweier brillanter Schauspielerinnen zu, wirklich nahe aber komme ich ihnen nicht. Immer wieder blitzt schlaglichtartig die Substanz für mehr durch, doch Kore-eda war diesmal offenbar mehr daran gelegen, schöne, stimmungsvolle Bilder zu kreieren und seinen Leuten nicht allzu dicht auf den Pelz zu rücken. Ein paar launige Episoden aus der Kunst- und Filmwelt, ein paar Ansätze für eine ausdauernd geführte Mutter-Tochter-Kiste kommen zum Tragen und natürlich die übergeordnete Frage, ob man seine Autobiographie unbedingt zur Selbstbeweihräucherung und Selbsttherapie nutzen muss, so wie Madame es zur wiederholten Empörung ihrer Tochter tut. Alles unter dem Strich recht marginal, muss ich sagen.
Ein misslungener Film ist das natürlich dennoch nicht, dazu ist er zu schön, zu gut gespielt, zu gekonnt inszeniert. Aber Kore-eda kann es deutlich besser, und ich hoffe sehr, dass er sich im Weiteren wieder darauf besinnen wird. (10.3.)