Little Joe von Jessica Hausner. Österreich/England/BRD, 2019. Emily Beecham, Kit Connor, Ben Wishaw, Kerry Fox, David Wilmot, Leanne Best, Lindsay Duncan, Sebastian Hülk
Horrorfans wissen es schon längst: Es gibt nichts Schöneres als ein wissenschaftliches Experiment, das aus dem Ruder läuft. Gier, Leichtsinn, Dummheit, egal wieso, Hauptsache das ganze Ding gerät so richtig fett außer Kontrolle, und die Geister, die sie riefen, werden sie nun nicht mehr los, die bösen Wissenschaftler. Mad Scientists hat es immer wieder geben, und die haben dann Riesenspinnen, Frankensteinmonster, gigantische Titten oder andere Kreaturen losgelassen gleichsam als höhere Strafe für ihren Hochmut und ihre Ignoranz. Wieso ich das alles hier erzähle? In Jessica Hausners wundervollem „Little Joe“ geht es im Grund um etwas ganz ähnliches – eine ehrgeizige kleine Biologin und Pflanzenzüchterin, die aus reinem Geltungstrieb ihre eigene Erfindung ein wenig anschieben möchte und zu diesem Zwecke noch nicht freigegebenes Genmaterial einsetzt. Das Ziel: Eine Pflanze, die ihre Besitzer glücklich macht und die natürlich auf der nächsten Pflanzenschau einen international renommierten Preis abräumen soll. Doch natürlich kommt es anders…
Diese Pflanze nämlich, ein schmuckes purpurrotes Gewächs, dem sie den Namen Little Joe gibt, nach ihrem Sohn, den sie allein aufzieht, stößt regelmäßig große Wolken Blütenstaub aus, und wer immer diesen Staub inhaliert, verändert in kurzer Zeit sein Wesen, wird fremd, unzugänglich, eigenartig emotionslos. Obwohl Alice eigentlich Feuer und Flamme für ihre Arbeit ist und ihr eigenes Kind regelmäßig vernachlässigt, will sie selbst auf die Bremse treten, als ihr klar wird, welche Gefahr von Little Joe ausgeht. Doch ihre Kollegen sind bereits infiziert und tun nun alles, um die kostbare Pflanze zu schützen und ihre Verbreitung abzusichern, schrecken in letzter Konsequenz auch vor Gewaltanwendung nicht zurück. Erst als sie selbst auch inhaliert, kann Alice auf Linie gebracht werden – sie schickt Joe zu seinem Vater und ist letztlich ganz froh, ihn los zu sein, weil sie sich nun endlich völlig ihrer Arbeit und vor allem ihrem wahren Baby widmen kann.
Eine richtig fiese kleine Gruselmär, brillant gestaltet und mit einem noch fieseren offenen Ende. Steril bunte Bilder, teilweise fast wie aus einem Comic, Leute in bizarren Klamotten (vor allem Alice muss wahrhaft gruseliges Zeug tragen), eine merkwürdig kalte, aseptische Parallelwelt zwischen großen Laborräumen und Privatgemächern, die nicht weniger aseptisch wirken. Jessica Hausner hat das phantastisch inszeniert, hat vor allem ein perfektes Gefühl für die etwas starren, ausdruckslosen Gesichter und wie man die möglichst wirkungsvoll ins Licht rückt und die in effektvollem Kontrast stehen zu dem zunehmend düsteren Dingen, die sich ereignen. Ben Wishaw ist der freundlich lächelnde jungenhafte Kollege, dem Little Joes Staub jegliches Verständnis von Ethik und Gut und Böse ausgetrieben zu haben scheint, und die sehr stark aufspielende Emily Beecham könnte glatt eine der Frauen von Stepford sein mit ihrem blanken, glatt geschminkten Puppengesicht, das dadurch noch nerdiger und beunruhigender ist. Spektakuläres spielt sich auch auf der Tonspur ab, die uns immer wieder mit elektronischen Schocklauten buchstäblich aus dem Kinosessel hüpfen lässt, und die uns dann, wenn wir wieder gelandet sind, mit allerlei schrägen, bedrohlichen Störlauten beschallt.
Alles in allem ein eindrucksvoll gestaltetes Gesamtkunstwerk, das uns nicht mit schrillen Effekten Angst machen will, sondern sich heimtückisch anschleicht, um sich dann umso tiefer unter unsere Haut zu bohren. Frostig, eisig, ein bisschen bösartig natürlich auch, trotz der hellen, freundlichen Oberfläche tiefschwarz darunter, schön sarkastisch und doch so ganz still und leise. Und ganz sicher der erste Film des Jahres, der sich aus der vermutlich auch weiterhin vorherrschenden Drei-Sterne-Phalanx abhebt. (17.1.)