Monos von Alexis Dos Santos und Alejandro Landres. Kolumbien/Argentinien/Schweden/BRD, 2019. Sofia Buenaventura, Julián Giraldo, Karen Quintero, Laura Castrillón, Deibi Rueda, Paul Cubides, Sneider Castro, Moises Arias, Julianne Nicholson

   Irgendwann etwas später im Film, wenn die Dinge bereits eine ziemlich düstere Wendung genommen haben, sieht man ihn plötzlich, den aufgespießten Schweinekopf, und kurz darauf Jungs, die sich für die Menschenjagd mit Lehm bemalen, und da fällt dann auch bei mir der Groschen: Ach ne, das wohl ne Art „Herr der Fliegen“ auf modern und kolumbianisch sein? Am Schluss dann noch der fast zu Tode gehetzte Junge, der nach der langen Flucht vor den Verfolgern total erschöpft vom Militär aufgegriffen und in einem Hubschrauber abtransportiert wird und dessen leeres Gesicht mich bis raus auf die Straße verfolgt, und wieder erinnert mich das an Goldings Roman, an dessen Ende Ralphs verzweifelte Flucht vor den polierten Stiefeln eines Schiffsoffiziers endet, der dann für uns sozusagen die gesamte Perspektive wieder zurechtrückt – denn hier sind letztlich nur kleine Jungs am Werk, denen allerdings die Zivilisation ein wenig abhanden gekommen ist.

   In „Monos“ ist die Fallhöhe allerdings nicht ganz so hoch, denn diese Jungs sind keine braven britischen Schulbuben, sondern ein wilder Haufen jugendlicher Guerilleros, der eine US-amerikanische Ingenieurin als Geisel bewacht und sich irgendwo in der Wildnis verschanzt hat. Die Zeit vergeht mit Machospielchen, Sexversuchen, Exerzieren und Kriegsgehabe. Dann ein erster Zwischenfall: Eine Milchkuh wird irrtümlich erschossen und der bisherige Anführer der Gruppe erschießt sich, weil er offenbar glaubt, er habe versagt. Ein Angriff zwingt die Gruppe dann vom Berg runter in den Dschungel, wo alles aus dem Ruder läuft: Die Amerikanerin versucht zu fliehen (beim zweiten Mal mit Erfolg), die Kids reiben sich auf in Hackordnungskämpfen, Raufereien und Eifersüchteleien, und mehr und mehr brechen die Dämme, bis es zuletzt zu massiver Gewalt und blankem Chaos kommt. Zwei der Jungs konkurrieren um die Chefrolle (wieder eine Parallele zum Roman), der brutalere setzt sich durch, der andere jedoch kann fliehen, und das Ende ist bekannt.

   Ohne konkrete aktuelle Bezüge schaffen die Filmemacher eine abgründige, düstere Vision eines Landes, das seit Ewigkeiten von Bürgerkrieg, Zerstörung und Gewalt beherrscht wird. Es ist hier völlig egal, auf wessen Seite diese Gruppe Monos steht, vielleicht wissen es die Kids selbst nicht mal so genau, es geht um ihren Umgang mit Waffen, Gewalt, Krieg. Sie sind darin geboren worden, aufgewachsen, sie tragen ihn in sich und leben ihn mit absoluter Selbstverständlichkeit aus. Sie sind durchaus nicht unfähig zur Empathie, sie sind bloß jederzeit imstande, umzuschalten und auch rücksichtslos loszuschießen, und ihnen fehlt deutlich die Fähigkeit, ihre Situation und Emotionen irgendwie zu reflektieren. Sie sind letztlich nicht mehr als Kids, Jugendliche, Halbwüchsige, und zwischendurch gibt es immer wieder Momente, die uns das vor Augen führen. In der fiebrigen Enge und Dichte des Dschungels verlieren sie schließlich total die Kontrolle und verstricken sich in einen verbissenen Überlebens- und Konkurrenzkampf. Dies mögen archaische menschliche Reflexe sein oder die folgerichtigen Konsequenzen aus einem Leben im dauerhaften Krieg. Wir im fernen, sicheren Europa sind vielleicht aber doch gut beraten, uns nicht allzu sicher und fern von alledem hier zu führen.

 

   Die Bilder sind toll und sehr intensiv, die Laiendarsteller sämtlich grandios, und Mica Levi steuert ihre bewährten elektronischen Soundattacken bei, die dem Geschehen eine zusätzlich beunruhigende, dunkle Note geben. Ganz starkes Kino aus Südamerika, so selten es leider bei uns geworden ist, und in dieser Qualität sowieso. Wenn man sich die Zahl der beteiligten Produktionsländer anschaut (insgesamt sieben oder acht), kann man halbwegs ermessen, wie schwierig es ist, dort unten solche Projekte überhaupt stemmen zu können. Umso erfreulicher, dass es gelungen ist. ˜˜˜˜» (30.6.)