Seberg (Jean Seberg – against all enemies) von Benedict Andrews. USA/GB, 2019. Kristen Stewart, Jack O’Connell, Anthony Mackie, Vince Vaughan, Yvan Attal, Zazie Beetz, Margret Qualley, Colm Meany

   Der deutsche Titel macht’s mal wieder unnötig pathetisch, aber keine Angst – ein Kitschdrama à la Hollywood ist dies keineswegs. Ein paar Fakten sollte man allerdings kennen, und die kannte ich nicht, also musste ich das nachholen. Ich gehöre sicherlich zu den vielen, die Jean Seberg nur aus Godards „Außer Atem“ kennen und höchstens noch aus dem ein paar Jahre älteren „Bonjour Tristesse“, aber das war‘s auch schon.

   Darum geht es hier aber nicht. Hier geht’s um die späten 60er. Jean Seberg ist ein Star, ist mit Romain Gary verheiratet und will sich unbedingt politisch engagieren. Als sie mit dem schwarzen Aktivisten Hakim Jamal anbändelt und kurz darauf den Panthers eine fünfstellige Dollarsumme spendet, wird sie von allen Seiten gewarnt, dass sie in Schwierigkeiten geraten könnte. Und genau das geschieht: Das FBI nimmt ihre Fährte auf, und im Rahmen von Hoovers COINTELPRO läuft eine perfide Schmutzkampagne vom Stapel, in deren Verlauf Sebergs Ruf systematisch zerstört wird, um zu verhindern, dass die Bürgerrechtbewegung der Schwarzen mit prominenten weißen Hollywoodstars in Verbindung gebracht werden kann. Die Affäre mit Jamal geht schnell den Bach runter, die Ehe mit Gary auf die Dauer auch, das Kind aus einer flüchtigen Affäre in Mexiko stirbt kurz nach der Geburt, ein Selbstmordversuch ist die Folge. Einer der FBI-Männer kriegt ein Gewissen und offenbart sich ihr, gesteht das Abhören, das heimliche Fotografieren, das konstante Eindringen in ihre Privatsphäre, um möglichst viele dreckige Details zu finden und der Schmutzpresse zum Fraß vorzuwerfen. Im Abspann dann singt Nina Simone „Just like Tom Thumb’s Blues“ und wir lesen, dass Jean 1979 im Alter von 40 Jahren tot aufgefunden wurde, und dass ihr Tot, der flugs als Suizid deklariert worden war, bei genauerer Betrachtung allerhand Fragen aufwarf.

   Zwei große Stärken hat der Film, wobei man die erste ebensogut auch als Schwäche ansehen könnte, je nachdem, wie man drauf schaut. Über Jean Seberg nämlich erfahren wir bei Licht besehen nicht besonders viel, auch nicht über ihre Gründe, sich in dieser Weise politisch zu engagieren, sich einzusetzen für Ziele, die von ihrer bisherigen Welt ein gutes Stück entfernt waren. Der Film zwingt mich auf diese Weise, mich auf Seberg und ihr Engagement einzulassen, ihr einfach zu glauben, dass es ihr tatsächlich darum ging, zu helfen, sich einer Bewegung anzuschließen, der sie angehören wollte. Oder aber er ruft in mir Misstrauen und Ablehnung hervor, stellt sie als naives weißes Jet-Set-Girl da, das sich mal mit ein bisschen Radical Chic umgibt, um ein paar Schlagzeilen zu kriegen und nebenbei einen attraktiven schwarzen Aktivisten flachzulegen. Beide Sichtweisen sind absolut möglich, keine von beiden wird hier scheinbar bevorzugt, und diese Offenheit (wer Böses unterstellt, nennt es vage) erzeugt eine nicht geringe Spannung, die fast die ganze Erzählung begleitet und die auch die Anstrengungen des FBI in einem zusätzlich dubiosen Licht erscheinen lassen. Die monströsen Machenschaften, vom Chefhysteriker Hoover höchstpersönlich initiiert, sind sowohl zutiefst rassistisch als auch zutiefst sexistisch, verachtenswert sowieso, und sie sind einzig darauf ausgerichtet, Menschen zu schaden und letztlich zu zerbrechen und stehen zumindest im Fall Seberg in einem grotesken Kontrast zum Zielobjekt. Dies wird hier ganz unzweideutig genauso dargestellt, und indem das Drehbuch noch einen „Guten“ einbaut, erzeugt es einen Kontrasteffekt, den es eigentlich nicht gebraucht hätte, denn die destruktiven Folgen für Jean und ihr Leben haben mit den Gewissensbissen des Mr. Solomon rein gar nichts zu tun, und die Gewissensbisse dieses Herren haben mich persönlich überhaupt nicht interessiert.

   Die zweite Stärke des Films ist sein Look, und der ist einfach toll, ganz 60s, ganz retro, smart, chique, sexy, in Farbgebung, Atmosphäre und Ausstattungsdetails sehr gekonnt gestaltet, und trotzdem bin ich beim Zuschauen nie auf die Idee gekommen, die Oberfläche sei reiner Selbstzweck und verdecke die Substanz der Story. Das ist zu keinem Zeitpunkt der Fall, und das heißt schon was. Trotzdem haben wir hier viel Oberfläche, viele scheinbar „leere“ Bilder, in denen nur Jean als Stilikone betrachtet wird, doch habe ich diese Momente mit zunehmender Dauer als Herausforderung angesehen, habe mich ständig gefragt gefühlt: Na, ist diese Jean Seberg nur einfach ein enorm fotogenes und wirkungssicheres It-Girl, oder ist es doch eine ernstzunehmende junge Frau, die ihre Popularität, ihr in miesen Kommerzfilmen verdientes Geld dazu einsetzen will, etwas zu bewegen, etwas zu verändern. Kristen Stewart passt sich dieser Zweideutigkeit perfekt an und bietet eine ziemlich eindrucksvolle Performance, die von beidem etwas hat, die eindringliche Beharrlichkeit gegen alle Widerstände und Anfeindungen ebenso wie die spontan in die Kameras gereckte Faust am Flughafen, die in diesem Moment und diesem Kontext eher etwas lächerlich wirkt.

 

   Auf jeden Fall ein interessanter, toll gestalteter und gespielter Film aus einer wilden Zeit, die zum Leben zu erwecken sich immer wieder lohnt – und wenn‘s nur wegen der Musik ist…˜˜˜˜ (5.10.)