Waves von Trey Edwards Shults. USA, 2019. Taylor Russell, Kelvin Harrison jr., Sterling K. Brown, Renée Elise Goldsberry, Alexa Demie, Lucas Hedges
Mein ewiger Mitstreiter und ich waren in einem sofort einig: „Waves“ hat den „Bohemian-Rhapsody“-Gedächtnispreis in diesem Jahr jetzt schon in der Tasche, oder aber der Vorführer leidet an akuter Schwerhörigkeit. Laut war’s, extrem laut, und wenn‘s dann noch Musik vom berüchtigten Duo Trent Reznor-Atticus Ross auf die Ohren gibt, wackeln ein paar Reihen weiter vorn schon mal die Lockenwickler. Weiterhin waren wir uns darin einig, dass „Waves“ all die vielen hymnischen Lobpreisungen, die man vorher lesen konnte, irgendwie nicht so ganz gerechtfertigt hat. Er ist nicht nur viel zu laut (zumindest in der ersten Hälfte), sondern auch deutlich zu lang, vor allem wenn man anfängt, die Story auf ihre Substanz runterzubrechen, denn dann bleibt nicht sonderlich viel übrig.
Eine Familiengeschichte in zwei Teilen. Familie Williams aus Florida, Vater, Stiefmutter und zwei Kinder. Im ersten geht’s um den Ältesten, Tyler, der kurz vor dem Highschoolabschluss steht. Ein cooler Typ und vielversprechender Wrestler, vom verbissen ehrgeizigen Paps immer auf Leistung gedrillt, denn wie der Senior ihm unentwegt eintrichtert, sie als Schwarze müssten in allem dreimal so gut sein wie die Weißen, um als halbwegs gleichwertig anerkannt zu werden. Sein Leben gerät ins Rutschen, als er anfängt, eine chronisch schmerzende Schulter mit Pappis Oxycodon zu kaschieren, und dann aus diesem Morphiumkreislauf nicht mehr richtig rauskommt. Er wird launischer, jähzorniger, zugleich anfälliger, erst recht, als sein Doc ihm klarmacht, dass nur eine OP und eine lange Rekonvaleszenz helfen könnten. Und als seine Freundin Alexis ihm sagt, dass sie schwanger sei, geht es ganz dramatisch den Bach runter. Er will sie zur Abtreibung drängen, sie kann sich nicht entscheiden, und auf einer Party kommt es zum fatalen Crash, er schlägt sie, sie fällt zu Boden, stirbt, er geht lebenslänglich in den Knast.
Und im zweiten Teil nun geht’s um die jüngere Schwester Emily, die bislang eher im Schatten des ambitionierten Bruders stand, und die nun versuchen muss, zwischen ihrer eigenen Trauer und den zunehmenden Spannungen zwischen den Eltern einen eigenen Weg zu finden. Sie lernt den weißen Jungen Luke kennen, der auch erst etwas nerdig rüberkommt, sich dann aber doch als ganz netter und solider Kerl entpuppt, der seinen Vater nach vielen Jahren wiedersieht, nur um ihn in den Krebstod zu begleiten, und der Emily, indem er ihr indirekt zu dieser Erfahrung verhilft (denn sie begleitet ihn nach Missouri), dazu ermutigt, für sich und ihre Familie einen neuen Anfang zu wagen, und so sieht man die drei am Schluss in neuer Hoffnung und Nähe vereint.
Satte zweieinviertel Stunden werden dafür verbraucht, und im Grunde geht’s „nur“ um die elementaren Dinge des Lebens: Liebe, Tod, Hoffnung, Verzweiflung undsoweiter. Die eine Geschichte endet im Dunkel, die andere im Licht, der Bruder steuert mit typisch männlicher Destruktivität in einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale zielsicher auf die Katastrophe hin (Drogen, Leistungsdruck, noch mehr Drogen), die Schwester kriegt die Kurve, obwohl man auch in ihrer Geschichte hier und da spürt, dass sie ebensogut anders hätte verlaufen können. Das ist insgesamt wenig neu oder sonderlich originell, und der extrem fieberhafte Regiestil trägt eher dazu bei, der leichte Banalität offenzulegen, denn wenn sich der ganze Pulverdampf verzogen hat, frage ich mich schon, wozu jetzt der ganze Aufwand dienen sollte. Das Leben auf der Überholspur zwischen grölenden Autofahrten, heftigen Partys und intensivem Training wird maximal graphisch und mit vollem Körpereinsatz auf die Leinwand gebracht. Ein Bilder-, Farben- und Musikrausch volle Pulle, nur auf Dauer etwas ermüdend, und ich war heilfroh, dass sich nach einer Stunde oder so ein ganz anderer Ton einstellt. Sehr viel direkte Politik kommt hier nicht zum Tragen, die in den USA momentan äußerst virulente „Rassenfrage“ wird eher indirekt ins Spiel gebracht, vor allem in Person des Vaters Williams, der die ganze Verbitterung seiner eigenen Erfahrung in die Erziehung seines Sohnes legt und ihn unermüdlich pusht und dabei eben auch das Gefühl für Grenzen verliert. In ihm spiegeln sich die Folgen des Rassismus, ohne dass er darüber explizit viele Worte verliert. Ein paar verrückte Abtreibungsgegner wären noch zu nennen, doch die sind kaum ernst zu nehmen. Es geht insgesamt eher um Emotionen, Beziehungen, den Kampf ums Glück und die Frage, ob eine Familie genug Kraft aufbringen kann, um einen solchen Schicksalsschlag zu überstehen. Darauf wenigstens gibt es eine vorsichtig optimistische Antwort, und das ist ein ganz schöner Ausklang eines Films, der in Teilen recht eindrucksvoll ist, aber nicht als Ganzes und der deshalb die Erwartungen nicht ganz erfüllt hat. (21.7.)