El amigo alemán (Der deutsche Freund) von Jeanine Meerapfel. Argentinien/BRD, 2012. Celeste Cid, Max Riemelt, Benjamin Sadler, Noemie Frenkel, Jean Pierre Noher, Katja Alemán, Carlos Kaspar, Julieta Vetrano, Juan Francsico Rey
Mitte der 50er Jahre. Sulamit Löwenstein wird als Tochter jüdischer Migranten in Buenos Aires geboren. Ihre Sprache ist selbstverständlich Spanisch, die Sprache ihrer Eltern weiterhin Deutsch, doch jeder versteht den anderen. Das Milieu ist einfach, bürgerlich, die jüdische Community setzt sich aus Menschen zusammen, die die Flucht vor dem Holocaust geschafft haben. Gegenüber in deutlichem großbürgerlichem Stil wohnt Friedrich Burg, der Deutsche, der auch hier geboren wurde und wie Sulamit kein Deutsch sondern nur Spanisch spricht. Die beiden sind unzertrennlich, stecken ständig zusammen, und selbst wenn vor allem Herr Löwenstein diese Verbindung stark missbilligt, äußert er sich seiner Tochter gegenüber niemals. Auch die Familie Burg lebt in ihrer Community, deutsche Migranten, zumeist alte Nazis, die wie so viele nach Südamerika geschleust wurden bzw. entkommen konnten, und die ihre Gebräuche und Traditionen ebenfalls weiter hegen und pflegen. Als Friedrich älter wird und plötzlich versteht, was es mit der Vergangenheit seines Vaters auf sich hat, gibt es einen Bruch, der zunächst auch einen Bruch für die Freundschaft der beiden bedeutet. Voller Zorn und der Suche nach Erklärungen geht er nach Westdeutschland, nach Frankfurt an die Uni und knüpft Kontakte zur linken Szene, beteiligt sich an Protestaktionen. Wir sind jetzt in den 60ern. Sulamit folgt ihm schließlich, beginnt auch ein Studium, doch ist ein Kampf nicht ihr Kampf und sein Zorn nicht ihr Zorn. Sie haben andere Partner, gehen getrennter Wege, verlieren sich aber nie ganz aus den Augen. Friedrich radikalisiert sich immer mehr, auch angesichts der vom Westen installierten und geförderten Militärdiktaturen in Südamerika, und er geht schließlich nach Argentinien, um gegen die Junta zu kämpfen. Der Weg führt geradewegs in ein Foltergefängnis nach Patagonien, doch anders als viele seiner Mitstreiter überlebt er wenigstens. Sulamit besucht ihn dort einmal unter großen Mühen, doch gibt er sich abweisend, unzugänglich. Erst nach seiner Freilassung kann er wieder Gefühle zulassen, dies hatte er sich während seiner Haft verboten, um nicht noch mehr zu leiden. Er bleibt in Patagonien, lebt einfach auf dem Land und schließt sich einer Initiative indigener Einwohner an, die um die Rückgabe ihres Landes kämpfen. Er kann sie überreden, ihn dort zu besuchen, und sie weiß sofort, dass es für immer sein wird.
Ein beeindruckender, bravourös inszenierter und gespielter Film über mehrere Jahrzehnte argentinisch-jüdisch-deutscher Nachkriegsgeschichte, die sich in all ihrer Komplexität in der Liebesgeschichte von Sulamit und Friedrich spiegelt. Zwei Migrantengemeinschaften im Buenos Aires der 50er: Auf der einen Seite die Juden, auch hier eher geduldet als gewollt, die noch nicht mal ihre Kinder taufen lassen können, wie sie möchten (Sulamit darf offiziell nicht Sulamit heißen), auf der anderen Seite die Deutschen, hofiert, bestens vernetzt, mit dem geraubten Vermögen der vernichteten Juden bestens ausgestattet, ohne Angst vor Verfolgung und Schuld. Die alten Strukturen setzen sich hier auf sehr zynische Weise fort. Die Ohnmacht der Opfer, die ewig am Rande der Gesellschaft leben werden und die Selbstzufriedenheit der Mörder, die sich in Sicherheit wiegen dürfen und sogleich wieder voll integriert sind. Die kleine Sulamit spürt diese Verbitterung des Vaters, doch kann sie sie nicht richtig einordnen, auch Friedrich braucht lange Zeit, um die Hakenkreuzdeko im Brotkörbchen zu begreifen und zu hinterfragen, was sein Vater, der damals noch ganz anders hieß, während des Krieges in Deutschland eigentlich getan hat. Meerapfel richtet ihren Fokus bei alledem konsequent auf die beiden Kinder, lässt die Eltern und ihre jeweiligen Themen fast gänzlich außen vor, konzentriert sich auf das, was die Geschichte mit den Sulamit und Friedrich macht. Ihre besondere Verbindung wird von Anfang an deutlich, durchläuft viele verschiedene Phasen, gerät zwischendurch auch durchaus in Gefahr, doch so unbedingt wie Sulamit große Risiken auf sich nimmt, um in das Gefängnis der faschistischen Militärjunta zu kommen und ihren Friedrich zu besuchen, so klar ist es für ihn am Ende, sie zu sich zu holen, weil sie immer seine eine große Liebe war, auch wenn es zwischendurch mal so aussah, als hätten Politik und Revoluzzertum die Oberhand. Die Kunst besteht in solchen Fällen immer darin, das Private und das Öffentliche organisch miteinander zu verknüpfen, beidem den gebührenden Platz einzuräumen und zwar so, dass wir möglichst verstehen und mitfühlen können. Meerapfel hat sehr offensichtlich eigenes Erleben einfließen lassen in ihr fabelhaftes Drehbuch, wobei sie den argentinischen Sequenzen deutlich näher zu stehen scheint als den deutschen, was mir persönlich nur recht war, denn die interessierten mich auch viel mehr. Ihr gelingen sehr eindrucksvolle, präzise und atmosphärisch dichte Momente, in denen einerseits die Quintessenz von Sulamits Erfahrungen eingefangen wird und andererseits der Blick auf weitere Zusammenhänge offen bleibt, in der Figur des früh verstorbenen Vaters und auch von Friedrichs Eltern, die die andere Welt repräsentieren, die Welt der Mörder, mit der die Opfer auch zehntausend Kilometer entfernt von Europa wieder jäh konfrontiert wurden. Diese Präzision zeichnet den Film durchgehend aus: In wenigen Momenten werden Angst und Grauen der Militärdiktatur nachfühlbar, in wenigen Szenen Wut und Aufruhr in den 60ern, als die Nachkriegsgeneration endlich Rechenschaft ihrer Väter forderte. Das schöne Bild der ruhig kreisenden Condore am Ende des Films gibt noch einmal die Gelegenheit, all das Revue passieren zu lassen, was in diesen Jahrzehnten geschehen ist, was auch an Ungeheuerlichem geschehen ist und welche Allianzen da jeweils am Werk waren.
Politisches und privates Kino gleichzeitig, ganz tolles Kino vor allem von einer Regisseurin, die selbst zwischen den Welten lebt und immer ihr eigenes Ding gemacht hat. Zur Belohnung dafür wurde und wird sie hierzulande kaum rezipiert – meinen letzten Film von Jeanine Meerapfel hab ich irgendwann in den frühen 90ern gesehen. Auch eine Form von Kulturpolitik… (Disc, 16.3.)