The courier (Der Spion) von Dominic Cooke. England, 2020. Benedict Cumberbatch, Merab Ninidze, Jessie Buckley, Rachel Brosnahan, Angus Wright, Kirill Pirogov, Maria Mironova

   „Schön, dass Sie wieder da sind,“ sagt die Dame an der Kasse, und so wie sie es sagt, merke ich, dass sie es auch so meint. Ich erkläre ihr, dass es mir ganz genau so geht, und damit sind über acht kinofreie Monate – hoffentlich endgültig! – beendet. Ich könnte rückblickend nicht mal sagen, dass ein Leben ohne Kino nicht denkbar wäre – aber es würde eine ganze Menge fehlen, das ist mal klar…

   Zum Wiedereinstieg gibt’s einen sehr zünftigen, sehr klassisch und auf angenehmste Weise altmodisch inszenierten Spionagefilm, der weniger auf Action als vielmehr aufs Menschliche baut und dabei dennoch ziemlich spannend wird. Hintergrund ist mal wieder eine wahre Geschichte – Greville, ein eher unscheinbarer aber angemessen umtriebiger Londoner Geschäftsmann wird von MI 6 und CIA ausgesucht, um einen russischen Offizier in Moskau zu kontaktieren. Dieser Offizier, Oleg, hatte nämlich zwei amerikanische Touristen angesprochen und ihnen eine Botschaft zugesteckt, die den Weg in den Westen fand und damit eine ganze Kette von Ereignissen lostreten sollte. Oleg, ein verdienter und vielfach dekorierter Kriegsveteran, wird hauptsächlich von seiner tiefen Abneigung gegen den cholerischen und unberechenbaren Chruschtschow getrieben – das Jahr ist 1961, die Russen planen, auf Kuba atomare Sprengkörper zu platzieren, US-Aufklärer bringen entsprechende Bilder heim, Kennedy reagiert sofort und für viele Monate hält die Welt den Atem an in der bangen Erwartung eines drohenden Atomkrieges. Genau dagegen will Oleg etwas tun, er will genug geheimes Material in den Westen schaffen, um sicherzustellen, dass die Sprengkörper rechtzeitig entdeckt und unschädlich gemacht werden, oder aber dass Chruschtschow dazu gezwungen werden kann, einen Rückzieher zu machen. Greville soll nun der Bote werden, getarnt als ein Geschäftsreisender zwischen London und Moskau, und was erst für einige Zeit gut zu funktionieren scheint, wird zunehmend riskanter, auch für Grevilles Ehe, denn die Gattin verdächtigt ihn irrtümlich, wieder eine Affäre zu haben, wie früher schon einmal. Er gewinnt andererseits Zuneigung und Respekt für Oleg, der auch eine Familie hat und alles aufs Spiel setzt, weil er von dem, was er tut, überzeugt ist. Und so kommt es, dass er einen letzten Besuch in Moskau riskiert, obwohl die Geheimdienste ihn abziehen wollen, doch er will Oleg und dessen Familie retten und sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Der KGB greift sich die beiden jedoch, Greville bleibt zwei lange schmerzvolle Jahre im Knast, wird dann gegen einen russischen Spion freigetauscht, und Oleg wird hingerichtet, immerhin seine Frau und Tochter überleben.

   Menschen in Zeiten des Kalten Krieges. Darauf pocht Oleg immer wieder: Wir können als Menschen etwas ausrichten, etwas verändern, und nur so kann es gehen. Dieser menschliche Aspekt der Beziehung zwischen den beiden wird stark betont, und auch der Lernprozess, den der eigentlich eher unpolitische und egozentrischen Greville durchläuft, als er diesen Mann kennenlernt, dem es nicht um Geschäfte oder Geld geht, sondern um seine Überzeugung. Während sich im Hintergrund die Situation immer stärker zuspitzt, gerät auch Greville in eine Krise, denn indem er einwilligt, seiner Frau auf keinen Fall etwas von seiner Mission zu erzählen, öffnet er die Tür für ein beinahe fatales Missverständnis, das glücklicherweise rechtzeitig aufgeklärt wird, sodass sie ihm durch die schlimme Haftzeit helfen kann. Seitlich daneben stehen die beiden leitenden Offiziere der Geheimdienste, die genau diesen menschlichen Aspekt schon längst aus ihrem Repertoire gestrichen haben, denn ihnen geht es einzig um das Gelingen einer Operation, und dass es dabei zu Opfern kommen kann, ist ihnen absolut bewusst, ist Teil ihres Berufs. Immerhin schaffen es die Briten 1964 endlich, ihren Landsmann nach jahrelangem Taktierten freizubekommen, denn um jeden Preis hätten sie das nie getan, die Staatsräson steht immer im Weg.

 

   Ohne viel Aufhebens werden die ganz verschiedenen Aspekte dieser Story ziemlich souverän miteinander verwebt, und dank der äußerst gelungenen Dramaturgie steigt die Spannung bis zum Schluss eigentlich ständig an. Weder Greville noch Oleg sind glatte Helden, ganz im Gegenteil, doch wird ihre jeweilige Motivation sehr gut verdeutlicht, und natürlich sind Cumberbatch und Ninidze ganz hervorragend in ihren Rollen. Alles in allem ein sehr sorgfältig inszeniertes und gestaltetes Drama aus (hoffentlich) lang vergangenen Zeiten, das in jedem Fall Lust macht auf das Restkinojahr 2021. ˜˜˜˜ (6.7.)