Mothering Sunday (Ein Festtag) von Eva Husson. England, 2021. Odessa Young, Josh O’Connor, Colin Firth, Olivia Colman, Ṣọpẹ́ Dìrísù, Emma D’Arcy, Patsy Ferran, Glenda Jackson
Eine Literaturverfilmung, das sieht man sofort, aber eine im absolut besten Sinne, finde ich - eine nämlich, der es gelungen ist, wenigstens ein paar Wesenszüge der Literatur in das Medium Film zu übertragen, und zwar so, dass es durchaus wie „Kunst“ rüberkommt, aber niemals gekünstelt oder maniriert. Das klappt nicht so oft.
Ein Film aber auch, der im Ganzen ein wenig unter der Bürde seiner vielen elementaren Themen in die Knie zu gehen droht, oder der besser gesagt Gefahr läuft, diesen Themen nicht immer im vollen Maße gerecht werden zu können bei nur gut einhundert Minuten Laufzeit. Es geht nämlich im Grunde genommen um alles: Leben und Tod, Hoffnung und Trauer, Lust und Verzweiflung, ach ja, um die Kunst auch noch, denn unsere Heldin macht aus ihren Erfahrungen als junges Mädchen eine im Laufe der Jahre offenbar leidlich erfolgreiche Karriere als Buchautorin, die ihre Inspiration und ihre Leidenschaft aus dem speist, was sie selbst erlebte. Eine Emanzipationsgeschichte ist es auch noch, denn das Dienstmädchen im noblen Herrenhaus mausert sich zunächst zur Angestellten in einem Buchladen, löst sich aus einer fast unveränderlich scheinenden Struktur, was nicht vielen gelang, ist zugleich auch stark genug, einen bitteren Verlust hinter sich zu lassen, an ihm zu wachsen, genauso wie an dem Verlust, den sie Jahre später noch einmal erleiden sollte, als ihr zweiter Geliebter an einem Hirntumor verstirbt. Am Schluss zieht sie als alte Dame Bilanz: All die vielen Preise und Auszeichnungen oben auf dem Dachboden können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie teuer erkauft wurden durch viel Schmerz, der sich auch durch Schreiben nicht gänzlich wegtherapieren lässt. Schön war es dennoch.
Eva Husson hat aus einem wie schon gesagt etwas überladenen Skript mit viel Courage einen magisch schönen Film gemacht. Sehr sinnlich, suggestiv, assoziativ mit fließenden Übergängen zwischen den Zeiten, mit fließenden Übergängen zu Erinnerungen, Gedanken, Gefühlen. Hier hat eine Filmemacherin wirklich mal versucht, den Worten der Vorlage nachzuspüren, und ich finde, sie hat das toll hingekriegt. Wie gesagt, die Fülle und Schwere der Themen ist ein wenig überladen, und sie widmet sich nicht allen Erzählebenen mit gleicher Sorgfalt, aber das wäre in der Kürze der Zeit auch kaum zu bewerkstelligen gewesen. Die Ereignisse von 1924 stehen im Mittelpunkt, die junge Jane, die mit einem Sohn der ländlichen Upper Class schläft, die wohl weiß, dass diese Affäre keine Zukunft hat und die sie trotzdem intensiv genießt. Sie treffen sich ein letztes Mal, diesmal bei ihm zuhause, während eine Hochzeitsgesellschaft bereits auf ihn wartet, denn seine standesgemäße Vermählung steht kurz bevor, und sie machen beide keinen Versuch, diesen Lauf der Dinge zu verändern, denn beide wissen, dass dies zum gegenwärtigen Stand der Dinge nicht möglich wäre. Wir erleben parallel dazu die Eltern, insgesamt drei befreundete Paare, die an den just vergangenen Krieg schon vier Söhne verloren haben, und auch den fünften bald verlieren werden, denn auf dem Weg zu ihnen wird Paul mit dem Auto tödlich verunglücken. In einigen äußerst beklemmenden und eindringlich inszenierten Szenen sehen wir eine Gesellschaft, die in Konventionen, Regeln und vor allem tiefster Trauer vollkommen erstarrt ist und unter der Last der Verluste zusammenzubrechen droht, die einen verbittert, sprachlos und paralysiert, während die anderen in ihrer Hilflosigkeit zu hohlen Floskeln Zuflucht nehmen, was die Situation nur noch unerträglicher macht. Diese Augenblicke und das Zusammensein von Jane und Paul im großen Herrenhaus sind die schönsten und eindrucksvollsten hier, alle anderen fallen ein wenig ab, leider auch die mit der etwas älteren Jane und ihrem Mann Donald, der sie ständig ermutigt und drängt, die Schriftstellerei voran zu treiben. Am Ende bleibt mir der Eindruck, dass hier mindestens zwei Filme in einem untergebracht sind, und dass es vielleicht auch besser gewesen wäre, zwei Filme daraus zu machen.
Es bleibt dennoch ein sehr eindrucksvoll inszenierter und gespielter, gefühlvoller und eigenwilliger Film, der auf jeden Fall unter den oft recht braven Buchverfilmungen aus jener Epoche herausragt, der ästhetisch etwas wagt mit Großeinstellungen und Schnitten, und der mir auch das große Vergnügen beschert hat, die großartige Glenda Jackson nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder auf der Leinwand erleben zu dürfen, wenn auch leider nur sehr kurz. Dies wäre dann vielleicht ein Anlass, einen dritten Film aus der Geschichte zu machen… (23.12.)