Retfærdighedens ryttere (Helden der Wahrscheinlichkeit) von Anders Thomas Jensen. Dänemark, 2021. Mads Mikkelsen, Andrea Heick Gadeberg, Nikolaj Lie Kaas, Lars Brygman, Nicolas Bro, Gustav Lindh, Roland Møller

   Wer Filme wie „Dänische Delikatessen“ oder „Adams Äpfel“ oder „Men & Chicken“ oder „In China essen sie Hunde“ oder noch einige andere in dieser Richtung kennt, wird mit der ganz besonderen Handschrift des Autor/Regisseurs Anders Thomas Jensen vertraut sein. Da scheiden sich dann auch die Geister ziemlich endgültig, denn entweder man liebt ihn oder verabscheut ihn – liebt ihn für seinen unnachahmlichen Humor und seine genussvoll zelebrierten Grenzüberschreitungen in Sachen guter Geschmack, verabscheut ihn für seine Geschmacklosigkeit, die man durchaus auch so wahrnehmen könnte.

   Ich habe seine Filme eigentlich immer gemocht, und mag auch diesen neuesten hier, denn er hat alles, was seine Vorgänger auch schon auszeichnete: Ein überaus großes Herz für schräge Typen, gern auch Verlierer genannt, für die schmuddeligen Seiten des guten alten Dänemark und für Humor der allerdunkelsten Art. Dazu ein sehr souveräner Umgang mit den Regeln der Wahrscheinlichkeit und überhaupt mit den Gesetzen der Dramaturgie. Wenn man einen Film von ihm anschaut, weiß man immer, dass jederzeit alles passieren kann, und das macht einfach Spaß.

   Diesmal geht’s um einen Kriegsveteranen, der nach Hause berufen wird, weil seine Frau bei einem Zugunglück (oder einem Anschlag) ums Leben kommt. Ein paar wilde Typen tischen ihm eine Theorie auf, nach der dieses Unglück nach statistischem Ermessen kein Unglück gewesen sein kann und sie bieten ihm gleich auch einen Hauptverdächtigen an. Und los geht die wilde Fahrt mit mindestens drei Dutzend Leichen, einigen folgenschweren Irrtümern und Entgleisungen, und dennoch gehen unsere „Helden“ aus dem Gemetzel weitgehend unbeschadet hervor und können vielleicht so etwas wie eine neue Familie bilden. Die Klammer bildet übrigens ein Fahrrad: Weil ein Mädchen aus Tallinn lieber ein blaues Fahrrad statt eines roten geschenkt bekommen möchte, wird eine irrwitzige Lawine von Ereignissen losgetreten, und als das Mädchen am Schluss ihr blaues Rad glücksstrahlend im Empfang nimmt, kann es natürlich nie und nimmer erahnen, wie viele Menschenleben seine kleine kapriziöse Laune gekostet hat.

 

   Rüde Gewaltausbrüche, skurriler Slapstick und auch stille, zarte Momente werden nach bewährtem Rezept vermengt und fast zwei Stunden lang nach Gutdünken über die Story verteilt. Traumata, Verlust, Trauer, Verschlossenheit wären ein paar Themen, die unsere Helden begleiten, die meisten sind psychisch ziemlich derangiert, aber liebenswürdig jederzeit, und dass ihnen Jensens volle Sympathie gehört, spürt man in jeder Szene. Unser trauernder Veteran lässt im Eifer des Gefechts einige Unschuldige über die Klinge springen, doch irgendwie kann man ihm nicht böse sein, denn andererseits ringt er um die Liebe seiner Tochter, stellt sich dabei aber so ungeschickt an, dann man einfach mit ihm fühlen muss. Seine drei Mitstreiter sind köstlich verrückte Vögel, die völlig unversehens in einen wahren Malstrom der Gewalt hineingezogen werden, und gemeinsam entschlossen weiterballern, auch als längst zweifelhaft ist, ob dies überhaupt berechtigt ist. Wenn Schauspieler dieser Klasse mit dabei sind, und wenn die dann noch mit soviel Spaß und durchweg todernsten, würdevollen Mienen zu Werke gehen, ist bei allem Chaos irgendwie doch sichergestellt, dass das Ganze niemals doof oder albern rüberkommt. Das ist das Geheimnis von Jensens Filmen – wüst drauflos fabulierte Geschichten, die dennoch stets Boden unter den Füßen haben, eine gewisse Substanz. Dass er für meinen Geschmack manchmal auch ein bisschen zuviel des Guten auffährt, gehört unbedingt dazu, und wurde bislang noch in jedem seiner Filme von den Qualitäten wettgemacht. ˜˜˜˜ (13.10.)