Je suis Karl von Christian Schwochow. BRD/Tschechien, 2021. Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel, Marlon Boess, Anna Fialová, Aziz Dyab, Fleur Geffrier, Edin Hasanovic, Mélanie Fouché, Ruzica Hajdari

   Wahrlich, der Schoß ist fruchtbar noch, und wie! Die neue Rechte operiert im Grunde noch immer mit den gleichen Methoden wie unsere lieben Vorfahren (die Bewegung benötigt Märtyrer ebenso wie Sündenböcke und ist völlig rücksichtslos bei der Beschaffung dieser beiden Zutaten), doch sie schaut viel schicker aus. Keine dumpfen Schlägerprolls in durchfallbraunen Uniformen und Springerstiefeln, sondern smarte, cool gestylte Hipster in feinem Zwirn. Jung, vital, viral, international, medial allerbestens vernetzt, technisch hochwertig ausgestattet. Im Kern genauso perfide und widerwärtig wie unsere lieben Vorfahren, keine Frage, aber mittlerweile so raffiniert aufgestellt, dass auch die Kids von heute anspringen. So jedenfalls wird es uns hier vorgeführt, manchmal vielleicht ein wenig plakativ und schematisch, doch was soll mich das kümmern, wenn die Grundaussage alles andere als abwegig ist, sondern im Gegenteil in unserer Gegenwart nur allzu fest verwurzelt, und auch das finale Szenario vom länderübergreifenden Aufstand des rechten Mobs erscheint mir leider in keiner Weise realitätsfern.

   Maxi verliert durch einen furchtbaren Bombenanschlag mitten in Berlin ihre beiden leinen Brüder und die Mutter. Nur sie und der Vater überleben schwer traumatisiert. Während der Vater weitgehend paralysiert in der Stadt verharrt, muss sie raus, muss fliehen, und da kommt ihr der smarte Karl gerade recht, der scheinbar zufällig ihren Weg kreuzt und sie vor übergriffigen Paparazzi beschützt. Karl ist einer der Protagonisten einer jungen Bewegung, die sich gegen Migration und für strengere Gesetze, unter anderem auch für die Todesstrafe stark macht und die sich in den europäischen Großstädten einer rasant wachsenden Anhängerschaft erfreut. Karl war es auch, der eigenhändig als arabisch aussehender Mann verkleidet die Bombe im Berliner Mietshaus platzierte, um der Bewegung noch mehr Follower und Argumente zu sichern. Und Karl ist es auch, der sich schließlich vor laufenden Kameras in Strasburg erschießen lässt, um das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen zu bringen und den Pöbel von der Kette zu lassen. Der Plan geht auf, allüberall machen sich schwer bewaffnete Horden auf den Weg, stürmen Rathäuser oder Parlamentsgebäude, wollen die bestehenden Demokratien umstürzen. Maxi, die sich in Karl verliebt und eine Zeitlang hatte mitreißen lassen, erkennt ihren Irrtum zu spät, und gemeinsam mit Papa und einem syrischen Freund muss sie nun versuchen, der gewalttätigen Raserei irgendwie zu entkommen. Das Ende bleibt offen und düster, der Weg führt in einen dunklen Tunnel.

   Die verhältnismäßig eindimensionalen Charaktere sind eher untypisch für Schwochow, jedenfalls wenn ich an diejenigen seiner Filme denke, ich kenne, und das dürften fast alle sein. Wer sich daran stört, sollte sich vielleicht Gedanken darüber machen, was der Film erreichen möchte. Die soll keine komplexe Psychostudie sein und sicherlich auch keine differenzierte soziopolitische Analyse. Wer dies erwartet hat, wird ganz sicher enttäuscht sein. Wenn ich es aber mal von einer anderen Seite angehe, funktioniert „Je suis Karl“ ziemlich gut, und ich habe ihn als sehr spannend und eindrucksvoll empfunden. Es geht um jene Mechanismen, die schon in den 30ern oder auch schon früher und leider auch noch später bis heute zum Tragen kommen. Manipulation, Beeinflussung, die Faszination der Gruppe, des Wir-Gefühls, das fatale Geschick einiger Demagogen, Ängste, Sorgen, Unzufriedenheit für sich und ihre Zwecke zu nutzen, das Geschick, Feindbilder zu kreieren und die stetig wachsende Anhängerschar immer wieder darauf einzuschwören, und gleichsam das Geschick, die jeweils vorhandenen Medien bestmöglich und kalkuliert zu instrumentalisieren. Die Nazis haben das in ihrer Zeit ebenso perfekt beherrscht wie die Gruppierung mit dem erstmal eher nichtssagenden Namen „Re/Generation Europe“. Ihre Zusammenkünfte sind eine hip durchkomponierte Mischung aus Reichsparteitag und US-Wahlkampf-Show, doch hinter der täuschend lockeren „Wir sind jung, wir sind frei“- Attitüde steckt eine äußerst repressive, autoritäre, dezidiert fremdenfeindliche Ideologie, die den durchgehend jungen bis sehr jungen Zuschauern von attraktiven Identifikationsmodellen untergejubelt wird. Die Schauspieler sind in diesem Kontext perfekt gewählt, und spielen das auch perfekt, manchmal knapp am Rande der Karikatur, vor allem Niewöhner, aber für mich ist das ganz stimmig so. Natürlich hätte ich vielleicht gern etwas mehr darüber gewusst, woher der Fanatismus von Karl und seinen Mitstreitern und Mitstreiterinnen rührt, woher sie kommen und was sie ausgerechnet in diese Richtung gelenkt hat, doch darauf liegt nicht der inhaltliche Fokus. Hier geht es darum, wie eine Gruppe eine ganz bestimmte gesellschaftliche Stimmung ausnutzt, sie teilweise sogar selbst erzeugt und verstärkt, wie sie sehr clever und effektvoll mit Motiven und Slogans operiert, um ihre Ziele zu erreichen, die irgendwo zwischen Macht und Umsturz liegen. Maxi übernimmt für uns die Rolle der neu Hinzugekommenen, die sich alles zunächst aus einer gewissen Distanz ansieht, die sich auch die kernigen Sprüche zunächst eher skeptisch anhört, die sich aber mehr und mehr mitreißen lässt, bis sie kurz vor der Katastrophe doch wieder auf dem Boden der Vernunft landet. Auch dies ist durchaus vorhersehbar und in keiner Form irgendwie subtil gestaltet, aber das muss in diesem Kontext auch nicht sein, finde ich, solange ein Film nicht unzulässig und leichtfertig banalisiert und verzerrt, und das tut „Je suis Karl“ nicht, denke ich, denn mir zumindest erscheint vieles von dem, was ich hier sehe, äußerst realitätsnahe und immer im Bereich des Möglichen. Man muss sich nur ansehen, wie wenig heutzutage nötig ist, um gewalttätige Ausschreitungen zu provozieren.

 

   Und so ist dies für mich starkes, kraftvolles, politisch explizites Kino, das auf jeden Fall zum Denken anregt, und wenn es denn Widerstand erzeugt, umso besser, das ist genau das, was ein Film wie dieser erreichen sollte. Wenn wir beim Zuschauen manchmal unangenehm berührt sind, sagt das vielleicht am Ende genauso viel über uns aus, wie über den Film…˜˜˜˜ (20.9.)