Nahschuss von Franziska Stünkel. BRD, 2020. Lars Eidinger, Luise Heyer, Devid Striesow, Moritz Jahn, Christian Redl, Heid Kriegeskotte, Paula Kalenberg, Kai Wiesinger, Victoria Trauttmannsdorff
Eine Geschichte aus der DDR: Ein Mann wird buchstäblich zermahlen zwischen den Mühlrädern eines menschenverachtenden Systems und seines eigenen Gewissens. Und wir müssen fast zwei überaus bedrückende Stunden damit verbringen, ihm dabei zuzusehen, wie er unausweichlich in den Abgrund stürzt und am Ende durch einen Genickschuss hingerichtet wird (oder nach deutscher Sprachregelung durch „unerwarteten Nahschuss“), das letzte von über 160 in der DDR vollstreckten Todesurteilen, wie uns der Abspann verrät, denn der Film basiert auf einem authentischen Fall.
Franz wird ein lukrativer Posten als Wissenschaftler an der Humboldt-Uni angeboten, und dann kriegt er auch noch eine tolle Wohnung für sich und seine Corina, und als kleine Gegenleistung soll er sich nur für eine kurze Zeit dem Ministerium für Staatssicherheit zur Verfügung stellen, und ehe er sich‘s versieht, hat der smarte Herr Hartmann bereits Kontakt zu ihm aufgenommen und ihm seine Aufgabe erläutert: Er soll dabei helfen, einen in den Westen zum HSV geflohenen DDR-Fußballer zurückzuholen, und weil er selbst begeisterter Fußballer war und den Mann auch noch kennt, ahnt er zunächst nichts Böses. Das ändert sich schnell, als ihm klar wird, wie perfide und infam die Stasimethoden sein können, wieviel Rücksichtslosigkeit und Fanatismus im Spiel sind, wenn es darum geht, vermeintliche „Feinde“ der Republik zu bekämpfen. Die schlimmste Erkenntnis aber ist, dass er nicht mehr rauskommt aus dem Auftrag, dass es kein Zurück gibt, dass er selbst sich tiefer und tiefer in Schuld verstrickt, sich von seiner Frau und sich selbst mehr und mehr entfremdet, weil alles, wofür er einsteht, von den Stasi-Schergen zynisch mit Füßen zertreten wird. In letzter Verzweiflung versucht er, sich und seine Corina im Westen in Sicherheit zu bringen, doch scheitert er natürlich, erleidet im Gefängnis eine weitere Stufe der Erniedrigung und Misshandlung, bevor er dann wie beschrieben endet.
In selten gesehener Intensität und Eindringlichkeit wird dieser grausame Malstrom in fahle, monochrome, klaustrophobische Bilder übersetzt als fast schon kafkaesker, ultimativer Alptraum eines Einzelnen im Räderwerk der Diktatur. Die einzelnen Szenen sind unerhört detailliert und prägnant geschrieben, der Erzählrhythmus bleibt fast schon unheimlich ruhig, aber in dieser Ruhe liegt genau das richtige Maß an Unerbittlichkeit, mit der die Geschichte vorangetrieben wird. Die Macht der Staatssicherheit, die scheinbar auf fast jede erdenkliche Weise in das Leben jedes einzelnen Bürgers eingreifen kann (und die bei Bedarf eben auch tut) ist ebenso angsteinflößend wie die völlige Gewissenlosigkeit der Beteiligten, die sich als braun-beige-grün gewandete biedere Kader geben, und wie die „Kreativität“ die sie an den Tag legen, wenn es darum geht, ein Menschenleben zu zerstören. Als Franz erkennt, dass dies der Preis für seinen beruflichen Aufstieg ist, und dass er diesen Preis nicht bezahlen möchte, gibt es schon keinen Ausweg mehr, keine Hoffnung auf Rechtfertigung und Rehabilitierung vor sich selbst, und im weiteren kämpft er verzweifelt an mehreren Fronten, er versucht zu überleben, er versucht, die Stasi-Leute hinzuhalten, bis er einen Ausweg gefunden hat, und er versucht, seine Integrität als Mensch nicht völlig zu verlieren und seine Ehe zu retten. Wir wissen natürlich von Anfang an, dass all diese Kämpfe vergeblich sein werden, und dieser stark fatalistische Zug hat mir als einziges in dem Film nicht ganz so gut gefallen, er ist übrigens auch in Lars Eidingers ansonsten sehr eindrucksvoller Darstellung so angelegt. Wir sehen ihn häufig frontal in Großaufnahme leidend und konsterniert, doch viel besser sind seine Szenen mit dem grandiosen Devid Striesow oder mit Luise Heyer, und dieser Einwand ist wie gesagt auch eher nebensächlich angesichts des überaus bemerkenswerten Gesamteindrucks. Natürlich bezieht der Film ganz klar Stellung zum DDR-Regime, und meinetwegen geschieht dies auch aus West-Sicht, aber erstens ist daran absolut nichts falsch und zweitens mindert das zu keiner Zeit den Aussagegehalt. Ein so rigoros düsteres, kompromissloses Drama habe ich zu dem Thema wohl noch nicht gesehen, selbst der (natürlich zu Recht) viel belobte „Das Leben der Anderen“ erreicht nach meiner Erinnerung nicht diese Wucht und Wirkung, und ich hatte häufig den Eindruck, als wolle die Autorin und Regisseurin Franziska Stünkel mit allen Mitteln dafür sorgen, dass dieser finstere Aspekt der DDR-Zeit weder in Vergessenheit geraten noch in irgendeiner Weise verharmlost oder relativiert werden könnte. Falls dies ihr Ziel gewesen sein sollte, so hat sie es mit maximaler Effektivität erreicht. Ein Film, den man auf jeden Fall einmal sehen sollte, falls man an diesem Abschnitt der Geschichte interessiert ist, den man aber vielleicht nur dieses eine Mal sehen wird, weil er schon harter Stoff ist und eine lang nachwirkende Beklemmung erzeugt. (18.8.)