News of the world (Neues aus der Welt) von Paul Greengrass. USA, 2020. Tom Hanks, Helena Zingel, Neil Sandilands, Mare Winningham, Michael Angelo Covino, Ray McKinnon, Elizabeth Marvel

   Systemsprenger goes West – die erstaunliche Helena Zingel hat einen großen Sprung über den Teich, raus aus der bundesdeutschen Sozialalltagstristesse mitten rein in den guten alten Wilden Westen gemacht, der allerdings bei Tageslicht besehen auch keine viel bessere Figur macht. Der fürchterliche Bürgerkrieg ist vorbei, doch das Land ist weder befriedet noch vereint. Die Siedler strömen nach wie vor unaufhörlich, die Eingeborenen wehren sich mit allen Mitteln gegen den unablässigen Landraub, die Ewiggestrigen im Süden versuchen, ebenfalls mit allen Mitteln, ihre alte lukrative Gesellschaftsordnung sprich Sklaverei aufrecht zu erhalten, viele ziehen umher, haben fast alles verloren, verstört und ohne Zukunft. Captain Jefferson Kyle Kidd ist einer dieser ewig Umherziehenden. Er hat eigentlich eine Ehefrau in San Antonio, Texas, weiß aber bereits längst, dass sie an Cholera verstorben ist. Als gelernter Buchdrucke hat er eine Nische für sich gefunden: Er zieht von Ort zu Ort und liest den jeweiligen Bewohnern abends aus den aktuellen Zeitungen vor, und indem er daraus eine regelrechte Show mit skurrilen und auch ernsten Nachrichten macht, kommt er ganz gut über die Runden. Bis er auch das blonde Mädchen Johanna trifft, Tochter deutscher Einwanderer, die sich irgendwo weiter südlich in Castroville niedergelassen haben. Johanna hat mehrfach alles verloren: Ihre Familie wurde von den Kiowa niedergemetzelt, die Kiowa, bei denen sie jahrelang lebte und von denen sie Sprache und Gebräuche erlernt hat, wurden wiederum von Weißen vernichtet, und der Wagen, der sie zurück zu Onkel und Tante bringen sollte, wird ebenfalls überfallen, und sie allein ist übrig, verstört, verängstigt, der englischen Sprache nicht mächtig. Kidd beschließt, sie nach Süden zu bringen, unter anderem auch, weil das in Richtung San Antonio liegt, wo er sich früher oder später der bitteren Wahrheit stellen muss. Eine klassische Westerngeschichte beginnt, die Reise durch ein wüstes, zerstörtes Land voller Gewalt und Unruhe, eine Reise, die mehrmals lebensgefährlich wird, und während der sich die beiden mehrmals gegenseitig das Leben retten, denn die kleine Johanna hat bei den Kiowa natürlich auch das Überleben gelernt. Kidd liefert sie schließlich in Castroville bei Onkel und Tante ab, sieht aber sofort, dass die beiden nichts mit ihrer Nichte anfangen können, sondern höchstens beabsichtigen, sie als weitere Arbeitskraft auf dem Feld einzusetzen. In San Antonio sieht er das Grab seiner Frau und stellt sich seiner Trauer, dann aber reitet er zurück nach Castroville und holt Johanna ab. Die beiden machen nun gemeinsam weiter, er als Nachrichtenverleser, sie als Geräuschemacherin, und wir sehen sie zuletzt glücklich lachend und stolz an seiner Seite.

   Nach „Captain Philips“ ist es Mr. Greengrass nun schon zum zweiten Mal gelungen, mir einen Film mit dem ungeliebten Tom Hanks unterzujubeln, und wieder ist das Ergebnis ganz hervorragend, denn wieder hat er es irgendwie geschafft, dass Tom Hanks gar nicht wie Tom Hanks spielt, sondern ganz der Sache dienlich, äußerst zurückhaltend und wirklich beeindruckend. Die junge Helena Zingel an seiner Seite steht ihm natürlich in gar nichts nach, zumal sie ein wenig von ihrer Systemsprenger-Sperrigkeit mit in diesen Film nehmen konnte und erneut ein zutiefst verstörtes, verängstigtes, misstrauisches Mädchen spielt, das nichtsdestotrotz von starken Instinkten geleitet wird, und es brauch einen geduldigen, stoischen Mann wie Captain Kidd, um überhaupt annähernd Zugang zu ihr zu bekommen. Wie sie sich im Laufe der zwei Stunden allmählich zusammenraufen, ist eine der schönen Geschichten dieses Films, doch ansonsten spielen sich eher weniger schöne Geschichten ab, und mehr als einmal werden die beiden mit Menschen konfrontiert, die keinerlei moralischen Kompass mehr haben und denen ein Leben nichts mehr gilt. Immer wieder werden motivische Parallelen zu Trump-Amerika deutlich: Texas first statt America first, Rassismus, Misstrauen, Revisionismus und so weiter, und das muss gar nicht forciert werden im Drehbuch, sondern ergibt sich fast automatisch und ganz organisch aus der Story, die mit ihrem Road-Movie-Feeling die beste Möglichkeit bietet, Land und Leute am Wegesrand zu porträtieren. Sowas wäre im klassischen Western natürlich niemals vorgekommen, und wenn diese neuen Western überhaupt einen Vorteil haben, dann auf jeden Fall den, dass sie sich eher um ein realitätsnahes Bild des Westens bemühen und keine bunte Disneyworld mehr daraus machen, wie es jahrzehntelang geschehen ist. Greengrass hat eine sehr gefühlvolle, melancholische, atmosphärische Ballade inszeniert, in der die leise Trauer über den Zustand der Welt ständig anklingt oder sich im zerfurchten Gesicht Captains Kidds spiegelt. Ein Mann, der eigentlich nicht mehr kämpfen will, der an der Schuld aus den Kriegsjahren schwer trägt, der dennoch fast instinktiv handelt, um sich und Johanna zu beschützen, ein Mann, der eigentlich zurück in die Zivilisation möchte, doch allzuoft von jenen bedroht wird, die genau das nicht wollen. Hanks spielt das wirklich gut, ich geb‘s ja zu, und Greengrass findet immer den richtigen Ton, erzählt manchmal auch spannend und intensiv, bindet die klassische epische amerikanische Landschaft mit ein und zeigt die Ureinwohner als Vertriebene, die nur schemenhaft noch sichtbar sind, die keinen Platz mehr haben in ihrem eigenen Land. Dieser Zwiespalt, der niemals aufgelöst werden kann, kennzeichnet alle besseren Filme über den Westen, denn die Geschichte seiner Besiedlung ist auch zugleich die Geschichte einer Vertreibung und Vernichtung, und kein Jubel über God’s Own Country kann diese Tatsache verdecken.

 

   Ein weiterer sehr eindrucksvoller und sehenswerter Film von Paul Greengrass weit abseits von Bourne oder Nordirland. Der Mann kann offenbar gar keine schlechten Filme machen, und wenn‘s nach mir geht, soll er bloß nie damit anfangen… (Stream, 19.2.)