Nomadland von Chloé Zhao. USA, 2020. Frances McDormand, David Strathairn, Linda May, Charlene Swankie, Bob Wells, Derek Endres, Peter Spears

   Fern hat alles verloren. Ihren Mann durch Krebs und ihr Zuhause, als die große Gipsfabrik pleitegeht und aus Empire, Nevada eine Geisterstadt wird. Das ist aber eigentlich gar nicht so schlimm., denn eigentlich ist Fern eine Nomadin, die nur ihrem Mann zuliebe eingewilligt hatte, sesshaft zu werden und in einem richtigen Haus zu wohnen. Viel lieber nämlich ist sie unterwegs, lebt in ihrem Van, reist von Ort zu Ort, von einem Gelegenheitsjob zum anderen, und weil sie ein sehr entspannter, unkomplizierter Typ ist, findet sie in der großen Nomaden-Community immer und überall schnell Anschluss. Sie geht durchaus Freundschaften ein, doch im Grunde ist das Leben auf der Straße durch ewig Abschiede und Neuanfänge gekennzeichnet, obwohl man sich im Laufe der Jahre zu bestimmten Zeiten immer wieder an bestimmten Orten wiedertrifft, vor allem wenn‘s um Jobs geht, ob nun in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder bei Amazon. Zweimal hat sie die Möglichkeit, doch wieder fest anzudocken, einmal bei ihrer Schwester und ein anderes Mal bei der Familie von David, einem anderen Nomaden, der Interesse na ihr hat und seinerseits jetzt bei seinem Sohn leben möchte. Vor allem im zweiten Fall scheint Fern einige Zeit ernsthaft zu überlegen, doch dann macht sie sich doch wieder auf den Weg. Zum Schluss fährt sie noch einmal nach Empire, besucht ihr ehemaliges, leerstehendes Haus, trennt sich von den letzten Erinnerungen an ihr altes Leben, und dann fährt sie in ihrem Van davon.

   Fast schon ein John-Ford-Ende, möchte man meinen. Die Rastlose auf dem Weg zurück in die Wildnis, für immer dazu bestimmt, umherzuziehen und niemals wieder irgendwo Wurzeln zu schlagen. Eine gewisse Unerschütterlichkeit liegt darin, ein festes Bekenntnis zu diesem Lebensstil, was nicht heißt, dass es nicht auch schwere Momente gibt, traurige Momente, und dennoch kann sie sich beide Male nicht dazu entschließen, heimisch zu werden, weder bei der Schwester noch bei Dave. Wo die Ursache für dieses Nomadentum liegt, bliebt unklar, ihre Schwester deutet ein bisschen was an, wenn sie von früher erzählt, von der starken, eigensinnigen großen Schwestern Fern, doch was sie wirklich vorantreibt, erschließt sich mir nicht. Das liegt möglicherweise auch daran, dass mir dieses Leben völlig fern und fremd ist, was aber nicht bedeutet, dass mir dieser Film nicht gefallen hätte. Er hat mir im Gegenteil sehr gut gefallen, ist mir vielleicht ein Stückchen zu lang, aber höchst selten kriegt man einen solch schönen und atmosphärischen US-Film zu sehen. Eine Art Road Movie sicherlich, aber ohne jegliche verklärende Romantik. Ein klarer, zwar von deutlicher Sympathie geprägter, aber dennoch fast dokumentarischer Blick auf eine Art Parallelgesellschaft, die sich weitab der üblichen Großstädte abspielt, so wie auch die Menschen hier mit den üblichen Großstädtern wenig gemeinsam haben. Sie sind aus den verschiedensten Gründen Nomaden geworden, manche vielleicht im ersten Leben gescheitert, anderer durch einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworden, andere einfach so, um mal zu sehen, wie das ist, viele aber mittlerweile aus fester Überzeugung. Es gibt eine starke Identität, eine Solidarität, ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das auf den gemeinsamen Zusammenkünften immer wieder spürbar ist. Vielleicht leben sie auch den uralten amerikanischen Traum sind frei, ihr eigener Herr, niemandem verpflichtet, an niemanden gebunden. Wenn der Job zu Ende ist, fahren sie einfach weiter und sind niemandem eine Erklärung schuldig. Darum reagiert Fern auch fast ein wenig abweisend, als David sich freundlich und beharrlich an sie heranpirscht, denn genau diese festen Bindungen will sie ja nicht mehr eingehen, Freundschaften ja, aber nicht mehr.

   Chloé Zhao betrachtet diese Welt neugierig, unvoreingenommen, mit leiser Sympathie. Ein sehr ruhiger Film, den ich oft als sehr melancholisch empfand, aber wahrscheinlich nur, weil mich diese vielen Abschiede auf Dauer ein wenig demoralisieren würden. Die großen Landschaften des Mittelwestens wirken abwechselnd majestätisch und auch leer, unbehaust, sie dienen genauso wenig als ein Zuhause wie die Parkflächen oder staubigen Plätze, auf denen sich die Vans der Nomaden wie einst die alten Wagenburgen der Pioniere versammeln. Doch irgendwie konnte ich Fern die ganze Zeit über nur als einsam oder verloren betrachten, auch wenn ihre Miene ständig um tapferen Optimismus kämpft. Es ist mir bis zuletzt nicht klar geworden, was sie in diesem Leben sieht, was es ihr gibt – ich verstehe, dass es für sie keine Alternative zu geben scheint, doch ich verstehe nicht, wieso. Wie gesagt, nicht unbedingt die Schuld des Films, der sich wenig Mühe gibt, dies zu erklären, aber wieso sollte er auch. Entweder, man kommt als Zuschauer damit klar oder man bleibt außen  vor, das ist schon okay so.

 

   Jedenfalls hab ich lange keinen US-Film mehr gesehen, der mir einen so tiefen und eindrucksvollen Einblick in ein ganz anderes Amerika vermittelt wie dieser. Ein Denkmal für die Leute auf der Straße, ohne festen Wohnsitz, aber nicht verzweifelt oder ausgestoßen, sondern in sich ruhend und aus freier Entscheidung. Ein tolles Beispiel für wirklich alternatives Ami-Kino, leider auch ein sehr seltenes… ˜˜˜˜» (7.7.)