One night in Miami von Regina King. USA, 2020. Kingsley Ben-Adir, Aldis Hodge, Leslie Odom jr., Eli Goree

Da 5 Bloods von Spike Lee. USA, 2020. Delroy Lindo, Norm Lewis, Clarke Peters, Isiah Whitlock Jr., Jonathan Majors, Mélanie Thierry, Chadwick Boseman, Johnny Trí Nguyn, Paul Walter Hauser, Jean Reno

 

The trial of the Chicago 7 von Aron Sorkin. USA, 2020. Sacha Baron Cohen, Eddie Redmayne, Jeremy Strong, Mark Rylance, Joseph Gordon Levitt, Frank Langella, Alex Sharp, Noah Robbins, Yahya Abdul-Mateen II, John Caroll Lynch, Daniel Flaherty

   Das neue Jahr (auf das ich an dieser Stelle, abweichend vom üblichen Procedere, ausdrücklich keinen Toast aussprechen möchte), beginnt genauso trostlos wie das alte endete – Kino findet nicht statt, ein Ende der Durststrecke ist vorerst nicht in Sicht, schlimmstenfalls geht der Lockdown (wird vermutlich auch in diesem Jahr ein Unwort bleiben) gar bis Ostern oder so. Also was tun? Das, was alle anderen, sofern sie an Kino und Film interessiert sind, wahrscheinlich auch tun – streamen oder DVDs oder ähnliches konsumieren. Geht ja nicht anders. Und da erstens kein Schwein vorhersehen kann, wie lange uns dieser Zustand noch aufs Gemüt drücken wird und ich zweitens auch keine Lust auf noch so ein klägliches Filmtagebuch wie im letzten Jahr habe, mach ich einfach ne inkludierte Mischung daraus und nehme Bemerkenswertes aus Stream und anderen Medien mit auf. Wer weiß, vielleicht ist die Scheißpandemie sowieso der Anfang vom Ende des guten alten Kinos und die Streamingdienste dieser Welt haben endgültig gewonnen. Ein bisschen Apokalypse darf’s schon sein…

   Den Anfang machen gleich drei neue US-Filme, und die sind in der Tat bemerkenswert und zwar aus mehreren Gründen. Obwohl sie sich nicht mit dem Hier und Jetzt beschäftigen, sondern mehr oder weniger unmittelbar mit den 60ern (oder zumindest mit deren Folgen), scheinen sie doch ganz direkt die Situation eines Landes zu reflektieren, das nach 4 Jahren Trump in vieler Hinsicht ziemlich erschüttert und zerrüttet ist, in dem sich aber gleichzeitig eine starke Oppositionskultur ausgebildet hat. Es geht um Black Lives Matter und um den Vietnamkrieg, und zugleich geht es um die Strukturen, die darunter zum Vorschein kommen und die in den vergangenen 4 Jahren in hohem Maße relevant und aktuell waren – leider. Aber vielleicht hat das Üble auch etwas Gutes, denn wann sonst hat man in solch kurzer Zeit so viele anspruchsvolle, hochpolitische, kämpferische und engagierte Filme gesehen wie im Moment?

   „One night…“ ist ein Theaterfilm, das ist klar ersichtlich, das macht ihn aus, und darauf hätte sich Regina King gern auch konzentrieren und einige Beilagen wie beispielsweise den Boxkampf zu Beginn weglassen können. Vier Männer treffen sich im Februar 1964 in einem Hotel in Miami – nicht irgendwelche Männer, sondern 4 Idole, Stars, Berühmtheiten aus ganz verschiedenen Bereichen, vor allem aber 4 Schwarze, jeder auf seine Weise ein Vorbild unter seinesgleichen. Cassius Clay, Sam Cooke, Jim Brown und Malcolm X sind gemeint. Sport, Soulmusik, nochmal Sport und auch Film und schließlich Politik. Vier befreundete und doch auch sehr verschiedene Männer, und um diese Verschiedenheit wird es hauptsächlich gehen, auch um die Frage, ob es sich nicht eigentlich um eine Gemeinsamkeit handelt, die die vier nicht immer sehen und akzeptieren können oder wollen. Der Boxer hat soeben einen großen Kampf gewonnen, er fühlt sich als der König der Welt und steht kurz davor, um Islam zu konvertieren und als Muhammad Ali weiterzuleben. Der Soulsänger gilt als einer der Größten seiner Zunft und hat offenkundig noch eine große Karriere vor sich. Der Footballstar weiß, dass seine große Zeit bald hinter ihm liegen wird, und deshalb hat er die Fühler in Richtung Hollywood ausgestreckt und visiert eine zweite Karriere als Schauspieler an. Und der Bürgerrechtsaktivist befindet sich ebenfalls im Umbruch, in einem weitaus gravierenderen allerdings, denn er ist drauf und dran, sich von der Nation of Islam loszusagen und eine eigene Gruppierung zu lancieren, wohl wissend, dass dieser Bruch höchst gefährlich für ihn und seine Familie werden könnte. Davon abgesehen ist ihm das FBI sowieso seit langem auf den Fersen, stresst und belagert ihn. Und während Clay euphorisch feiert und auch Brown und Cooke zumindest anfangs in entspannter Stimmung sind, zeigt sich Malcolm im Gegenteil nervös, unruhig, misstrauisch. Er fühlt sich verfolgt, beobachtet bedroht, ruft zwischendurch seine Frau an, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist, und dieser angespannte Zustand schlägt sich letztlich auf die ganze Gruppe und ihre Gespräche nieder. Natürlich ist Malcolm der Radikalste von ihnen, er fordert bedingungsloses, unentwegtes Eintreten für die Sache von Black Power. Die anderen drei würden ihm im kern gar nicht widersprechen, nur wollen sie auch mal nur feiern und nicht ständig politisch denken und handeln müssen. Brown muss sich Kritik anhören wegen seines Versuchs, im Hollywood-establishment, also dem weißen Establishment, zu landen und Erfolg zu haben. Cooke muss sich Kritik anhören, weil er nur gefällige Liebeslieder trällert und sich damit auch dem weißen Establishment andient. Auch Clay wird ermahnt, sich nicht nur im Ruhm und Geld zu sonnen, sondern seinen Status als neu gewonnener islamischer Bruder für die Sache zu nutzen. Gegen den ebenso eifrig wie penetrant predigenden Dogmatiker müssen sich die anderen folglich ständig zur Wehr setzen, müssen ihn davon überzeugen, dass sie auch auf ihre Art und an ihrem Platz für ihre Leute wichtig sind, vielleicht manchmal auch wichtiger als Malcolm, denn auf ihre Art erreichen sie die Menschen viel direkter und emotionaler. Manchmal wird’s giftig, durchaus leidenschaftlich und kontrovers, und die Freundschaft der vier wird bestimmt zum x-ten Mal auf eine Probe gestellt. Malcolms entlädt Frust und Zorn und Angst auf die anderen, vertraut sich ihnen aber auch nicht richtig an, weshalb sie ihn nur teilweise verstehen. Sie sind sich völlig einig in der Gewissheit, dass sie eine große Verantwortung für ihre Leute und ihre Zukunft haben, nur sind sie unterschiedlicher Auffassung darüber, wie sie diese Verantwortung wahrzunehmen haben. Apropos Black Lives Matter – nur ein Jahr später sollten zwei der vier bereits nicht mehr leben, nämlich Malcolm X und Sam Cooke, und beide sollten Opfer von Gewalttaten werden. Das Wissen darum gibt diesem historischen Zusammentreffen nochmal eine ganz andere Wertigkeit.

   Ansonsten ist dies ein klasse Film, hervorragend gespielt, in den Dialogen sehr ausgefeilt, thematisch durchgehend faszinierend und spannend, bissig und treffend in der Zustandsbeschreibung schwarzen Lebens in den USA in den 60ern und während ich es gut und richtig fand, dass der Lebensweg der vier über dieses Treffen hinaus noch ganz kurz skizziert wird, hätte ich wie gesagt auf den Prolog gut und gern verzichten können.

   Spike Lee haut mit „Da 5 Bloods“ ein zweieinhalbstündiges Epos über vier Vietnamveteranen raus, die als alte Herren nochmal nach Saigon reisen, gleichsam in die eigene Vergangenheit. Sie suchen nach den Überresten ihres damals gefallenen Squad Leaders Norman – aber auch nach einem großen Haufen Gold, das bei jenem fatalen Kampf verloren ging, dreckiges CIA-Gold, das die vier sich nun holen und vielleicht sogar für einen guten Zweck einsetzen wollen. In Vietnam werden sie (zu fünft, denn Pauls Sohn David schließt sich spontan der Expedition an) mit einem dubiosen französischen Geschäftemacher konfrontiert, der die Barren am Ende für sie verticken will und dem sie (völlig zurecht, wie man am Ende sehen wird) nicht recht trauen. Und sie werden konfrontiert mit Pauls üblem Kriegstrauma, das immer schlimmer geworden zu sein scheint und aus ihm einen völlig unberechenbaren, psychotischen und tief verstörten Veteranen gemacht hat. Halberlei befindet er sich noch immer im Krieg, und während die drei anderen Bloods möglichst schnell und unauffällig die Mission durchziehen wollen, ist er auf einem privaten und wirren Feldzug gegen die halbe Welt unterwegs. Im Grunde ist er nur ein vom Krieg total kaputt gemachter Mann, wie es so viele andere gibt, und eine der Stärken dieses Films liegt darin, dass Spike Lee es uns nicht leicht macht, ihn zu verteufeln oder zu verstehen, er konfrontiert uns wieder und wieder, ohne uns eine bestimmte Haltung aufzuzwingen. Es gibt viele lange Gespräche und Rückblenden auf der Reise, die selbstverständlich an die Reise ins Herz der Finsternis erinnert, Erinnerungen an den Krieg, an das Grauen, das Töten, die ewige Angst, und indem Spike Lee für diese Szenen keine jungen Darsteller benutzt, sondern die alten, macht er die Verbindung ins Heute optisch sinnfällig. Wenn das Gold gefunden ist, ändert sich der Ton, wir bewegen uns nun in Richtung eines gewöhnlichen Abenteuerfilms, und die teilweise recht heftigen Gewaltszenen haben mich eher befremdet, zumal im finalen Geballer und Gemetzel der Sinn für Zwischentöne ziemlich untergeht. Alle Bloods kommen zu Tode bis auf einen, der sich vielleicht mit seiner ehemaligen vietnamesischen Geliebten und der gemeinsamen Tochter (die völlig unglaubwürdig jung erscheint) zusammen, während das viele viele Geld doch noch wie gewünscht allen möglichen guten Zwecken zufließt.

   Wenn er seine noch immer flammende, hitzige Polemik zur Geltung bringt, ist Lee großartig wie gewohnt. Ein Trump-Cappy mit der Aufschrift „Make America great again“ geht von Kopf zu Kopf und führt fast immer unweigerlich zum Tod des Trägers. Die perverse Arithmetik des Vietnamkrieges, in dem überproportional viele schwarze Männer kämpften und starben, wird im Detail durchdekliniert, denn all diese Männer starben für eine „Freiheit“, die sie selbst nie erlebten, starben für „Werte“, die ihnen selbst niemals zuteil wurden. In seinen besten Momenten also ist auch dieser Spike-Lee-Film ein kräftiges „Fuck you!“ gegen das weiße Establishment, doch leider gibt es auch ausufernde schwächere Momente, etwas viel Langatmigkeit und eine Dramaturgie, die als launisch und wackelig bezeichnet werden könnte. Nicht der beste Spike-Lee-Joint ohne Zweifel, aber auf seine wuchtige Art immer noch sehenswerter als das meiste, was sonst so von drüben kommt.

   „The trial…“ schließlich ist für meinen Geschmack der beste Film dieses Trios, eine gepfefferte Politsatire über einen grotesken und typisch amerikanischen Schauprozess gegen vermeintliche Umstürzler und Verschwörer, die es angeblich darauf angelegt hatten, den Parteitag der Demokraten in Chicago anno 1968 als Bühne für Gewalt und Exzesse zu benutzen. Der grenzdebile Richter Hoffman arbeitet der Staatsanwaltschaft tatkräftig zu und unterbindet jegliche initiative der Verteidigung, und erst recht unterbindet er alle Versuche Bobby Seales, sich Gehör zu verschaffen. Die Strategie der Anklage: Alle in einen Topf werfen, alles linke, gefährliche Revoluzzer, die die Sicherheit des Landes im Visier haben. Wie lächerlich und realitätsfern diese These ist, erfahren wir in ausführlichen Dialogszenen hinter den Kulissen, in denen sofort deutlich wird, dass wir es hier natürlich nicht mit einer homogenen Truppe zu tun haben, sondern mit Repräsentanten völlig unterschiedlicher Bewegungen. Leute wie Abbie Hoffman und Tom Hayden haben wenig gemeinsam, haben wenig Respekt geschweige denn Sympathie füreinander, doch zwingt sie dieser Prozess gemeinsam auf die Anklagebank, und irgendwie schaffen es diese Männer dann doch, sich solidarisch zu verhalten, und am Schluss bringt ausgerechnet der wenig umstürzlerisch veranlagte Hayden die gegnerischen Akteure mächtig in Verlegenheit, als er statt einer kurzen Erklärung die viertausend Namen jener Soldaten zu verlesen beginnt, die während des absurd langen Prozesses im fernen Vietnam ums Leben kamen, in jenem Krieg, gegen den zu protestieren eigentlich die Absicht aller Demonstrierenden gewesen war.

   Justiz als haarsträubendes Affentheater, vorgefasste Urteile und Meinungen, Aussortierung jener Geschworenen, die sich möglicherweise auf die Seite der Angeklagten schlagen könnten, alles ist im Angebot, und obendrauf ein Richter, dessen verwirrtes Gerede und dessen Inkompetenz die Verteidiger immer wieder zur Sprachlosigkeit oder zur Verzweiflung treiben. Im Kern mag dies alles todtraurig sein, vor allem wenn man bedenkt, dass das Land, in dem sich diese Posse zuträgt, ansonsten seinen Stolz auf das demokratische, freiheitliche Erbe so lautstark vor sich herträgt. Dennoch ist dieser Film natürlich weitgehend urkomisch, eine brillant witzige Satire auf das Amerika der 60er (und auch auf das Amerika von heute, das ja so weit von den guten alten Zeiten nicht entfernt ist). Rassismus, entschlossenes Verteufeln aller vermeintlich „Linker“ und das völlig rücksichtslose und amoralische Vorgehen der staatlichen Organe (FBI und CIA, um die wichtigsten zu nennen) stehen im Mittelpunkt des politischen Diskurses, und nicht nur den Chicago 7 dämmert zwischendurch immer wieder, dass sie hier keine Gerechtigkeit zu erwarten haben, dass ein fairer, offener Prozess überhaupt nicht beabsichtigt ist, sondern vielmehr eine publikums- und medienwirksame und hoffentlich endgültige Aburteilung der verhassten Oppositionellen. Nur gingen die Inquisitoren so grotesk stümperhaft und juristisch fehlerhaft vor, dass ihrem Plan kein Erfolg beschieden ward und die in erster Instanz gefällten Urteile später sämtlich wieder aufgehoben wurden, einschließlich einer unberechtigten Mordanklage gegen Bobby Seale. Tiefe Empörung und heftige Heiterkeit halten sich bei mir die Waage, und entgegen meiner Befürchtung, Buch und Regie könnten ihr tolles Anfangsniveau nicht durchhalten, gelingt ihnen über zwei satte Stunden doch genau das. In großartig zugespitzten Dialogpassagen wird das gesamte Spektrum der Interessen und Argumente der Chicago 7 aufgefächert, wobei die Ausgewogenheit besonders zu beachten ist, und das ist bei Leuten wie Abbie Hoffman, die bekanntlich gern polarisierten, keine Selbstverständlichkeit. Die Szenen im Gerichtssaal sind ein großer Spaß, und die verhältnismäßig wenigen Momente, in denen die Konfrontation von Demonstranten und der Staatsmacht dargestellt wird, sind erschreckend und lassen erahnen, wieviel Hass und Aggression den Uniformträgern eingeimpft worden waren, denn die dreschen mit sichtlicher Freude und ebensolcher Wut auf das linke Gesocks ein. Die Besetzung ist besonders hervorzuheben, eine Sammlung prächtig besetzter Charaktere, von denen keiner zur Karikatur verkürzt wurde, sondern ein jeder hat sein Profil, seine Agenda, und selbst der bekloppte Richter erhält in der fabelhaften Darstellung Frank Langellas eine gewisse, wenn auch schräge Würde.

   Dies ist politisches Kino vom feinsten, so gut, wie es eben aus den Staaten kommen kann (kritische Patrioten sind sie ja doch alle irgendwie), und zusammengenommen bilden diese drei Filme eine sehr starke und gewichtige Stimme im aktuellen US-Kino, eine Stimme, die mich hoffen lässt auf mutigeres, meinungsfreudigeres Kino von drüben – angetriggert von einem Vollidioten, der jetzt allerdings seinen Hut genommen hat, und mal sehen, ob sein Nachfolger auch solch schön oppositionelle Filme provozieren kann…

 

(Stream, 21.1.)