Été 85 (Sommer 85) von François Ozon. Frankreich, 2020. Félix Lefebvre, Benjamin Voisin, Philippine Velge, Valeria Bruni Tedeschi, Melvil Poupaud, Isabelle Nanty, Laurent Fernandez, Aurore Broutin, Yoann Zimmer
Ein Sommer in der Normandie: Alex gerät mit seinem Segelboot draußen in Schwierigkeiten und wird von dem smarten David gerettet. Alles geht blitzschnell, David erobert den jüngeren Alex sozusagen im Sturm, stellt ihn der Frau Mama vor, schleust ihn in das Familiengeschäft ein, und für sechs Wochen sind die beiden praktisch unzertrennlich. Bis David sich dann urplötzlich der jungen Engländerin Kate zuwendet, die Alex früher schon kennengelernt hatte, und dann ist es mit der Liebe aus. Es gibt eine Eifersuchtsszene, und David fährt sich mit dem Motorrad tot, angeblich auf der Suche nach Alex, so jedenfalls die Version der Mutter, die Alex die Schuld am Tod ihres Sohnes gibt. Alex rastet jetzt völlig aus und fixiert sich ganz auf das Versprechen, das sich die beiden gegeben haben: Wer den anderen überlebt, muss auf seinem Grab tanzen. Alex tut das, randaliert volltrunken auf dem jüdischen Friedhof, wo David beigesetzt wurde, wird geschnappt und kommt vor Gericht mit ein paar Sozialstunden am Strand davon. Er ist reifer geworden, selbstbewusster, und macht nun selbst einen Jungen an der Strandpromenade an, so wie es einst David tat.
Manche Szenen sind einfach toll, vor allem in der ersten Hälfte: Der Sommer, die große Liebe (für Alex die erste, für David ganz sicher nicht), die schaurig-schöne Szenerie von Le Tréport, alles hat diese unwiderstehliche, ganz typische französische Leichtigkeit, die in manchen Sequenzen ein wenig an Rohmers Sommerfilm erinnert und einen wunderbaren Charme entfaltet, besonders auch im Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller. Soweit alles bestens, und dass es dann ein tragisches Ende nimmt, ist für sich genommen auch kein Problem. Ozon hat aber leider einige Entscheidungen getroffen, die ich persönlich nicht ganz so gelungen finde und die meinen Genuss an diesem Film insgesamt ein wenig beeinträchtigt haben.
Er hat erstens die Erzählchronologie aufgebrochen, erzählt die Geschichte praktisch als bruchstückhafte Rückblende, als vorgelesene Erinnerung, so wie Alex sie aufgeschrieben hat, und präsentiert in der Jetztzeit eine engagierte Sozialarbeiterin und einen Literaturlehrer, der große Stücke auf Alex‘ Talent hält und ihn gern gefördert hätte. Dieses Stilmittel ist manchmal höchst wirkungsvoll und passend, hier hat es für mein Empfinden immer wieder die Erzählung unangenehm unterbrochen, die Stimmung immer wieder gestört. Vielleicht wollte Ozon es auch so, mir hat das nicht so gut gefallen, und ich finde auch nicht, dass diese Aufsplittung hier besonders raffiniert eingesetzt wird. Mich interessiert weder die Sozialarbeiterin noch der Literaturlehrer, mich interessiert eigentlich vor allem Alex, wie er mit der Situation klarkommt und wie er seine Gefühle irgendwie in den Griff kriegt – oder auch nicht.
Damit hängt auch die zweite ungünstige Entscheidung Ozons zusammen, die Geschichte nach hinten raus einfach zu lange ausufern zu lassen. Die Urteilsverkündung vor Gericht ist noch ganz amüsant, weil sie einen bezeichnenden Blick auf Moral und den Umgang mit Homosexualität wirft - wenn zwei Jungs sich um ein Mädchen rangeln, ist natürlich alles in Ordnung, und so wird‘s dem Richter dann verkauft. Ein Mädchen und ein Junge, die um einen Jungen kämpfen, das hätte niemand verstanden und toleriert. Doch irgendwie geht der Kontakt zu Alex ein wenig verloren, und auch seine schlussendliche Wandlung zu einem ziemlich coolen Typen kommt einigermaßen überraschend und ist für mich nicht ganz plausibel. Eine überzeugende Initiationsgeschichte ist dabei jedenfalls nicht ganz herausgekommen, da gibt’s im Coming-of-age-Genre sehr viel bessere Beispiele. Ozon hat es hier verpasst, weiterhin aufmerksam und nahe dran zu bleiben, und ich jedenfalls fühlte mich auf einmal ziemlich weit entfernt vom Geschehen, dem ich zuvor mit großer Anteilnahme gefolgt war.
Die dritte Fehlentscheidung Ozons ist ganz klar die absurde Wahl, ausgerechnet Rod Stewarts elend ausgelutschten Heuler „Sailing“ als Schlüsselsong zu präsentieren, und da sind bei mir ganz unschöne Erinnerungen an ungute alte Zeiten hochgeschwappt, und vorbei war‘s mit der guten Stimmung. Ist was Persönliches, hat mit dem Film an sich eher nix zu tun, war aber leider zweimal eine Spaßbremse, zumal das Ding dann auch noch minutenlang ausgespielt wurde.
Also ein Film mit Stärken und Schwächen, mit schönen Bildern, guten Schauspielern und viel Flair, leider aber auch mit Störfaktoren, sodass ich „Sommer 85“ nicht zu den besseren Ozon-Filmen rechnen würde. Den Vergleich mit dem erwähnten Rohmer-Film jedenfalls verliert er ganz klar. (21.7.)