Tides von Tim Fehlbaum. BRD/Schweiz, 2020. Nora Arnezeder, Iain Glen, Sebastian Roché, Sarah-Sofie Boussnina, Bella Bading, Joel Basman, Kotti Yun, Sope Dirisu
Irgendwann in absehbarer Zeit hat‘s die Menschheit endlich geschafft und ihren Planeten durch Umweltkatastrophen, Pandemien und Kriege zugrunde gerichtet. Kurz zuvor hat sich eine kleine Elite ins All abgesetzt und einen neuen Planeten namens Kepler zum Siedeln gefunden, während der Rest wie einst die Neandertaler in einer weitgehend unbehausten amphibischen Wattlandschaft zwischen den Gezeiten in Wracks und Trümmern und Zelten haust. Die Leute errichten auf Kepler eine offensichtlich recht autoritäre und strikt auf die Gemeinschaft ausgerichtete Zivilisation, die bald einen gravierenden Nachteil offenbart, nämlich den, dass die Menschen zunehmend unfruchtbar werden, bis es schließlich überhaupt keine Geburten mehr gibt. Also schickt man erst eine Sonde, dann, nachdem die erste spurlos verschwindet, eine zweite zurück zur Erde, um herauszufinden, ob der Planet überhaupt noch bewohnbar ist und ob sich dort vielleicht günstigere Bedingungen für die Fortpflanzung der Spezies Mensch vorfinden. Eine einzige junge Astronautin namens Blake überlebt die Landung von „Ulysses 2“ und muss sich nun mit halbwilden Stämmen und einer Ansammlung von Kepler-Menschen auseinandersetzen, unter anderem auch ihrem Vater, der einst ein glühender Anhänger der Kepler-Idee war, nun aber seine Meinung geändert hat, als er mitansehen musste, wie rücksichtslos die Keplers die jungen Mädchen der Menschen einfangen, um sie später als Gebärmaschinen halten zu können.
Abgesehen von der Tatsache, dass mir das Drehbuch in einigen Dingen einfach zu unscharf ist, das heißt, dass die Welt nach der Apokalypse gern etwas detaillierter und stimmiger hätte ausgemalt werden können, ist dies ein spannendes und wirkungsvoll inszeniertes Stückchen Dystopie made in Germany. Fehlbaum hatte sich schon in „Hell“ mit viel Erfolg in diese Richtung bewegt, und auch diesmal serviert er düstere, monochrome Impressionen irgendwo aus dem Wattenmeer, entwirft das Abbild einer weitgehend lebensfeindlichen Umgebung komplett mit schroffen Schiffsruinen und struppigen Geschöpfen mittendrin, die Menschheit am Punkt Null, die Kommunikation ein unartikuliertes Mischmasch bekannter europäischer Sprachen, der klägliche Haufen zersplittert in feindselige, kriegerische Gruppierungen, die sich rücksichtslos und ohne jeden Gedanken an Zusammenhalt bekämpfen, kurz, die Spezies wird zurückgeworfen auf all jene Eigenschaften, die sie schon immer ausgezeichnet hat. Die Leute von Kepler sind allerdings nur auf den ersten Blick zivilisierter, kultivierter, denn hinter der Fassade ihrer allgegenwärtigen Gemeinschaft offenbart sich eine totalitäre und nicht weniger skrupellose Gesinnung, die ebenfalls alle erdenklichen Mittel anwenden würde, um Ihresgleichen fortzupflanzen. Unsere Heldin Blake muss sich früher oder später entscheiden, auf wessen Seite sie leben und kämpfen möchte, und weil sie eben eine echte Heldin ist, entscheidet sie sich gegen die Staatsräson und für das, was von der „Menschlichkeit“ noch übriggeblieben sein mag. Von einem Happy End kann man vielleicht nicht gleich sprechen, aber wie in so vielen anderen Geschichten dieser Art auch werden die Menschen ihre verblieben Ressourcen und ihren nach wie vor immensen Überlebenswillen in die Waagschale werfen, daran lassen die letzten Szenen keinen Zweifel.
Fehlbaum hält die verschiedenen Aspekte der Story insgesamt ganz gut in der Balance, erzählt dicht und spannend, er hat ein paar starke Gesichter, die er wirkungsvoll einsetzt, nur kommt so etwas wie eine Haltung, ein Anliegen insgesamt etwas zu kurz gegen all die atmosphärische Düsternis, und so ist dieser Film wie viele andere seiner Art sehr gut anzuschauen und ebenso unterhaltsam, inhaltlich aber ein wenig schwach auf der Brust. Ich warte nach wie vor auf das perfekte Endzeitdrama… » (6.9.)