Hope Gap (Wer wir sind und wer wir waren) von William Nicholson. England, 2019. Annette Bening, Bill Nighy, Josh O’Connor, Aiysha Hart, Nicholas Burns
Boshaft ausgedrückt, ein bisschen Pilcher ist schon mit dabei – Menschen flanieren vor traumhafter Kulisse auf und ab und sagen einen Text auf. Und spätestens, wenn man sich von dem Text nicht weiter stören lässt, ihn praktisch als Hintergrundgeräusch akzeptiert, und lieber die herrliche Kreideküste von Südengland bewundert, weiß man, dass irgendwas nicht ganz stimmt mit dem Film. So ist das hier leider auch.
Eine Ehe liegt nach neunundzwanzig Jahren urplötzlich in Scherben, weil er sich in eine andere verliebt hat und seiner Frau klarmacht, dass die beiden sowieso nie zueinander gepasst haben. Grace ist völlig konsterniert und will die Trennung nicht hinnehmen, will ihn zur Rede stellen, will kämpfen. Edward will einfach nur fliehen zu der neuen Frau, die ihn, so sagt er jedenfalls, so nimmt wie er ist und nicht ständig versucht, ihn nach ihren Vorstellungen hinzubiegen. Erst nach einiger Zeit und einem höchst verunglückten Anwaltstermin klärt die neue Frau die Situation mit einigen sehr prägnanten Worten und Grace scheint sich nun mit den Tatsachen abfinden zu können. Bleibt noch der gemeinsame Sohn Jamie, hin- und hergerissen zwischen den beiden, mal dem einen näher, mal dem anderen, zum Teil auch als Übermittler eingesetzt, der merkt, dass auch für ihn eine Welt zusammengebrochen ist, obwohl er seinen Eltern eigentlich schon längst nicht mehr sehr nahestand und seine Besuche in immer größeren Abständen getaktet hat. So wie Grace lernen muss, ihren Edward loszulassen, so muss Jamie lernen, seine beiden Eltern loszulassen und ganz auf eigenen Füßen zu leben. Oder so.
Dazu gibt’s ein bisschen Lyrik, schwellende Musik und noch mehr Küstenbilder. Besonders beeindruckt war ich ehrlich gesagt nicht. Vielleicht hätte es geholfen, wenn der Film sich entweder Jamies Perspektive ganz zu eigen gemacht hätte oder meinetwegen die von Grace und Edward. So geht’s ein wenig hin und her, und ich hatte die ganze Zeit über den Eindruck, dass es niemals so richtig zur Sache geht. Die zu erwartende finale Auseinandersetzung der beiden Eheleute wird von Edwards neuer Freundin ganz cool und pragmatisch abgewürgt, und Edward kann nur noch ein paar hilflose Phrasen hinter der abrauschenden Grace herschicken. Ähnlich unbefriedigend wie Jamies abschließende Erkenntnis, die ihn von irgendwoher getroffen haben mag, die aber auch geradewegs vom Himmel herabgefallen sein könnte. Alles wenig überzeugend, wenig abgerundet, andererseits optisch viel zu glatt und gefällig, um als unbehauenes Stück Independentkino durchgehen zu können. Die Personenzeichnung ist das eine große Problem: Jamie ist recht farblos, Grace ist viel zu penetrant, selbstsüchtig und aufdringlich und Edward ist ein typisch murmelnder, unbeholfener Bill-Nighy-Charakter, der seiner stets dominanten Gattin natürlich in keiner Weise gewachsen ist. Diese drei haben in mir weder besondere Sympathie noch auch nur besondere Anteilnahme erweckt, ich war zum Teil sogar eher genervt von ihnen, und das ist natürlich ganz ungünstig für solch eine Story. Das andere große Problem ist das Drehbuch, vor allem die Dialoge, die so hölzern und literarisch und statisch klingen, dass es manchmal regelrecht weh tut, und das wird todsicher nicht nur an der stockigen deutschen Synchronisation liegen. Auch der deutsche Titel ist übrigens stockig, suggeriert einen Tiefgang, den ich im fertigen Produkt vergeblich gesucht habe, der aber auf seine verquere Art fast schon wieder ins Bild passt. Hier ist leider ein Filmemacher am Werk, der weder als Autor noch als Regisseur das rechte Gefühl für die beteiligten Personen aufbringt und sie irgendwie nie so richtig zum Leben bringen kann, obwohl ihm mit Annette Bening und Bill Nighy zwei erfahrene, starke und vor allem eigentlich auch sehr charismatische Hauptdarsteller zur Verfügung standen. Die brave, gepflegte Bildgestaltung verstärkt den Eindruck eines durch und durch konventionellen, leider zu oberflächlichen Literaturstücks, das sein eventuell vorhandenes Potential (wenn es denn überhaupt vorhanden ist) nicht ausschöpft. Bislang sicherlich der misslungenste Film der neuen Saison. » (4.8.)