Ghahreman (A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani) von Asghar Farhadi. Iran/Frankreich, 2021. Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Fereshteh Sadre Orafaiy, Sahar Goldust, Maryam Shahdaei, Alireza Jahandideh
Der Großmeister des Malstroms ist wieder zurück – gut zehn Jahre, nachdem ich zunehmend fassungslos der scheinbar unaufhaltsamen und unausweichlichen Abwärtsspirale von Nader und Simon folgte, beschlich mich im Verlauf dieser neuerlichen zwei Stunden zwischendurch ein ganz ähnliches Gefühl, gepaart mit großer Bewunderung für einen genialen Filmemacher, dem es wie nur wenigen anderen gelingt, eben diese Gefühle hervorzurufen, ständig in Frage zu stellen, zu manipulieren, und auf diese Weise ein wirklich seltenes und ungewöhnliches Kinoerlebnis zu erzeugen. Seine besten Filme sind Meisterwerke, wenn auch von der Sorte, die ich persönlich vielleicht nur einmal sehen kann oder will.
Wieder geht es ganz einfach los: Rahim sitzt im Gefängnis, weil er Schulden gemacht hat und diese nun nicht zurückzahlen kann und sein Gläubiger die Geduld und das Vertrauen zu ihm verloren hat. Um wieder frei zu kommen, muss er möglichst bald eine sehr große Summe auftreiben, und als seine Freundin eine Handtasche mit etlichen Goldmünzen darin findet, scheint sich wie durch ein Wunder eine Lösung aller Probleme anzubahnen. Doch statt die Münzen zu verkaufen und seinem Gläubiger eine erste Anzahlung zu machen, folgt der brave Rahim seinem Gewissen und meldet den Fund, und von nun an entwickelt sich eine wahrhaft haarsträubende Kette von Ereignissen, die der gute Mensch von Shiraz beim besten Willen nicht vorhersehen konnte. Am Schluss ist viel Porzellan zerschlagen, ist seine Ehre scheinbar endgültig dahin, sind einige Menschen zutiefst zerstritten und findet sich Rahim im Gefängnis wieder, diesmal ohne Aussicht auf eine baldige Entlassung.
Geduldig, gründlich, mit unbarmherziger Ruhe baut Farhadi seine Geschichte auf, fängt ganz harmlos und unverfänglich an, baut dann erste kleine Irritationen ein, hier eine kleine Lüge, dort ein kleines Missverständnis, alles aber immer wohlmeinend, im Dienste der guten Sache sozusagen. Rahim hält, dem Rat des Gefängnisbeamten folgend, die volle Wahrheit zurück, weil sich seine abgeänderte Version besser verkauft, er genießt den plötzlichen und schnellen Ruhm sichtlich, doch dann schleichen sich erste Misstöne ein, in den allgegenwärtigen sozialen Medien kursieren Gerüchte am Wahrheitsgehalt seiner Geschichte, und von dort an geht es langsam aber sicher bergab, bis auch Rahim seine Haltung als gütiger, friedlicher Mensch nicht mehr länger aufrecht erhalten mag und sich zweimal zu Wutausbrüchen hinreißen lässt – die natürlich seine Glaubwürdigkeit endgültig zu Staub zerfallen lassen. Was wir hier sehen, ist eine äußerst giftige Sozialsatire über Lüge und Wahrheit, Ehre und Doppelmoral und die fürchterliche Macht der oben angesprochenen neuen Medien, die aus dir in Nullkommanichts einen neuen Star machen und dich ebenso schnell in aller Öffentlichkeit abstürzen lassen können. Ein falsches Wort, eine falsche Entscheidung, oder auch eine böswillige Absicht reichen aus, um dich von Jetzt auf Gleich vom Helden zum Schandobjekt zu degradieren. In einem Land, in dem es um viel Geld geht und um die Todesstrafe und um die Ehre der Familie, bewegt man sich ständig auf äußerst dünnem Eis, aber das gilt eben für alle. Das Gemeine an diesem Film ist, dass ich abwechselnd für jeden mal Verständnis und mal Ablehnung empfinde, dass ich selbst an der Vertrauenswürdigkeit des netten Herrn Rahim zwischendrin mal zweifle, obwohl wir uns am Ende sicherlich eher auf seine Seite schlagen werden, denn abgesehen von seiner Familie, die sich wirklich für ihn ins Zeuge legt, ist er umgeben von allerlei fragwürdigen Gruppierungen, denen es in erster Linie um ihren öffentlichen Ruf zu tun ist und weniger um das Wohl des Herrn Rahim. Sobald der erste Schatten des Zweifels auf ihn fällt, überschlagen sich alle buchstäblich darin, sich zu distanzieren, ihn wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel fallen zu lassen und ihm flugs ihre Zuneigung zu entziehen, damit sie bloß nicht Gefahr laufen, mit ihm in einen Topf gesteckt zu werden. Aber auch nicht alle von ihnen mag ich durch die Bank aburteilen für diese Haltung, denn jene Wohltätigkeitsorganisation, die sich ebenfalls von ihm abwendet, rettet andererseits Verurteilte vor der Hinrichtung, und das ist auch nichts Geringes. Auch die Frau, der angeblich die Tasche gehört, und die wir zuletzt wieder als Bittstellerin für ihren inhaftierten Mann sehen, mag gelogen haben, aber will man es ihr verübeln, wenn das Leben ihres Mannes davon abhängt.
Diese Zwiespältigkeit durchzieht die gesamte Geschichte, durchzieht alle Charakterisierungen und lässt mein Urteil ebenso wie meine Sympathie ständig schwanken. Wie gesagt – angenehmes Wohlfühlkino geht ganz anders, aber der Herr Farhadi ist zweifellos ein Meister seines Fachs, hat einmal mehr einen Film gemacht, der stark wirkt, der lange nachwirkt und all dies ohne jegliche Effekthascherei. (5.4.)