Alcarràs von Carla Simón. Spanien/Italien, 2022. Jordi Pujol Dolcet, Anna Otin, Xènia Roset, Albert Bosch, Ainet Jounou, Josep Abad, Montse Oró, Carles Cabós, Berta Pipó

   Eine Familie in Katalonien, die seit vielen Generationen Pfirsiche anbaut. Ein Großvater, der es damals versäumte, den Kaufvertrag für das Stück Land gleich nebenan schriftlich zu besiegeln, weil man sowas früher nur mündlich machte. Ein Solarpark, der nun just auf diesem Stück Land entstehen und damit die Existenz der Pfirsichbauern elementar bedrohen wird. Die Kinder nun, der Sohn, der den Hof übernommen hat und all seine Kraft in diese Arbeit steckt, seine Schwester und sein Schwager, die offenbar dazu neigen, sich dieser neuen Technologie zuzuwenden, die zweite Schwester, die in der Stadt wohnt, und nur ab und zu vorbeikommt und nun mitansieht, wie die Veränderung unaufhaltsam heranrollt. Und dann die Enkel, die ganz jungen, deren unbeschwerte Kinderspiele immer verdunkelt werden von den Konflikten ihrer Eltern, oder die Heranwachsenden, deren Jugend ebenfalls im Zeichen dieses Umbruchs stehen und mehr noch im Zeichen der Schwierigkeiten der Eltern, mit diesem Umbruch zurechtzukommen.

   Ein großartiger Film über ein ganz fundamentales Thema unserer Zeit. Veränderung, Wandel (von manchen auch als „Fortschritt“ bezeichnet) und der Preis dafür. Die einen gehen mit, passen sich an, sind beweglich genug, andere, wie Vater Quimet, tun sich immens schwer, wollen nichts von Veränderung wissen, kämpfen mit blindwütiger Energie für die Erhaltung des Dagewesenen, brennen dabei aber schließlich aus und gefährden auch den Zusammenhalt der Familie. Die steht hier ganz klar im Zentrum und sie ist sich natürlich auch ganz und gar nicht einig. Der verbohrte Vater, die jüngere Schwester, die schon einsieht, dass man den Lauf der Dinge eh nicht ändern kann, die eigene Ehefrau, die sich an seiner Sturheit immer wieder eine blutige Nase holt, auch die Kinder, die erleben, wie ihr Vater mehr und mehre zerfällt und den Boden unter den Füßen verliert. Der Zwist nimmt ziemlich bedrohliche Ausmaße an und für eine kurze Zeit muss man um den Fortbestand der Familie Solé fürchten, doch schließlich rauft sie sich dann doch zusammen, besinnt sich auf das, was sie bisher stark gemacht hat. Quimet lässt ein einziges Mal seine wirklichen Gefühle, seine ganze abgrundtiefe Verzweiflung aus sich raus, und vielleicht gibt er damit unbewusst den Anstoß, sich wieder aufeinander zuzubewegen, und so sieht man die Familie am Schluss vor ihrem alten Haus sitzen, während drumherum die Pfirsichhaine von Baggern abgeräumt werden – ein ebenso bitteres wie starkes Bild dafür, dass Fortschritt nicht nur etwas Neues schafft, sondern häufig zugleich etwas Altes zerstört.

   Dazwischen der zermürbend harte Alltag, das tägliche Ackern in der Plantage mit den afrikanischen Saisonarbeitern, ein paar übliche kleinere Konflikte mit den Halbwüchsigen, die Kleinen, die mal Mist bauen uns eins draufkriegen, wie überhaupt vieles hier aus ihrer Sicht erzählt wird, aus ihrem Erleben, das die Ereignisse nochmal ein Stück größer und schwerer macht, sie andererseits aber immer wieder im Spiel aufzulösen versucht. Dann aber auch die lokalen Protestbewegungen – eine ganze Kultur soll dem sogenannten Fortschritt weichen, die Bauern müssen um ihre Zukunft bangen, die Subventionen fallen weg, der Boden soll verkauft werden, viele würden vor dem Nichts stehen, und es scheint niemand da zu sein, der sie anhört. Quimet winkt erst ab, als er gefragt wird, ob er mit zur Demo kommt, doch letztlich ist er dann doch dabei, vermutlich wohl wissend wie auch die anderen, dass sie letztlich verlieren werden. Die ständige Sorge um die Existenz liegt buchstäblich wie ein Betongewicht auf Quimets Schultern, da helfen auch die abendlichen Massagen durch die Gattin nicht. Der schwere Gang, die träge Körperhaltung, der zunehmend leere, versteinerte Blick, alles an ihm strahlt diesen auszehrenden, lebenslangen Kampf aus, den er nicht freiwillig aufgeben möchte, denn er hätte sonst wohl nichts mehr, für das es sich lohnt, so jedenfalls scheint er das zu sehen.

   Die Regisseurin Carla Simón zeigt diese Welt aus der Nähe, aus eigenem Wissen und Erleben, ungeschönt, ganz oder Musik oder andere dramaturgische Mätzchen, durchaus mit Blick für Schönheit und Poesie, aber alles in allem vor allem mit starkem, realitätsbezogenem Blick für den Alltag, das Zwischenmenschliche, die Familie, die Männer, die schwerfällig dem Vergangenen zugewandt bleiben, die Frauen, beweglicher, zupackend, dem Leben zugewandt. Die Menschen und ihre Welt werden in einer Intensität und Unmittelbarkeit gezeigt, die man nicht oft in dieser Weise sieht, ihr Leben miteinander, mit dem Land, den Jahreszeiten und allem, was es jeweils zu tun gibt. Die Alten treffen sich mal zum Kartenspiel im Dorf, die Jungen gehen feiern auf dem Volksfest, es wird auch mal zwischendurch gelacht und gealbert, doch es überwiegen die harte Arbeit und nun die ständig wachsende Zukunftsangst. Auch was die nachkommenden Generationen angeht, ist ihre Perspektive natürlich völlig unsicher.

 

   Ein sehr toller, sehr beeindruckender Film, der dritte aus Spanien innerhalb kürzester Zeit. Die haben echt einen Lauf in diesem Jahr, die Iberer… ˜˜˜˜˜ (15.8.)