Tout s’est bien passé (Alles ist gut gegangen) von François Ozon. Frankreich, 2021. Sophie Marceau, André Dussolier, Géraldine Pailhas, Éric Caravaca, Charlotte Rampling, Grégory Gadebois, Hanna Schygulla
André, erfolgreicher Industrieller, zugleich Homosexueller, Familienvater und Ehemann, verliert nach einem heftigen Schlaganfall all das, was ihm lebenswert erscheint, und nun verlangt er von seiner Tochter Emmanuèle, sie solle ihm beim Sterben helfen. Da das in Frankreich nicht möglich ist, müssen sie auf die Schweiz ausweichen, und nach langem Hin und Her und sogar kurzfristig drohenden juristischen Konsequenzen wird der alte Mann tatsächlich nach Bern transportiert, wo er dann seinem Wunsch gemäß friedlich einschlafen darf. Emmanuèle erhält den Anruf von der Dame aus der Schweiz: Alles ist gut gegangen.
Das ist natürlich nicht die ganze Geschichte, ebenso wenig wie dies primär ein Film über das Thema Sterbehilfe ist. Ozon benutzt es sozusagen als ein Zentrum, um das herum er eine reichhaltige, komplexe und zumindest für mein Erleben ungeheuer bewegende Familienaufstellung gruppiert. Leben und Sterben, Zusammenhalt und Entfremdung, Liebe und Abneigung, alles, was uns in Familien auf geheimnisvolle Weise verbindet und auf schmerzvolle Weise trennt. Einige Male wird es ausgesprochen: Er war ein miserabler Vater, aber ich liebe ihn trotzdem. Und auf die Frage, warum haben Sie nicht abgelehnt: Mein Vater ist jemand, dem man nichts abschlagen kann. In diesen wenigen Sätzen wird schon viel gesagt über familiäre Verstrickungen, die oft so verhängnisvoll eng und dicht sind, dass man sich auch dann nicht entziehen kann (oder nicht entziehen zu können glaubt), wenn sie alles andere als gesund sind. Viel mehr allerdings, und dies ist eine der vielen großen Stärken dieses Films, wird ohne Worte gesagt, drückt sich allein in den Blicken aus, in Körperhaltungen, im puren physischen Miteinander der beteiligten Personen. Emmanuèle und ihre Schwester Pascale sind ein Thema, haben beide ganz offenbar ein enges aber nicht ganz konfliktfreies Verhältnis. Auch hier fällt einmal spät im Film ein kurzer Satz: Unser Vater konnte uns immer prima gegeneinander ausspielen. Dieser Satz ist eigentlich gar nicht mehr nötig, denn das haben wir schon vorher verstanden, man sieht es vor allem in Pascales Mimik und Haltung, die verrät, dass sie vermutlich immer die zweite Geige gespielt hat und Emmanuèle eher bevorzugt wurde. Neid und Eifersucht werden zwischen den beiden immer eine Rolle gespielt haben, und dennoch ist da nun dieser Zusammenhalt, manchmal hart erarbeitet, vielfach aber auch ganz instinktiv aus dem Bauch und dem Gefühl kommend. Zwei gestandene, erwachsene, durchaus erfolgreiche Frauen, die sich dennoch wie so viele andere zeitlebens trotz aller Enttäuschungen und Verletzungen an ihren Eltern abarbeiten. Wie Ozon diese Beziehung präzise eingefangen und in das Geflecht der vielen anderen Beziehungen integriert hat, finde ich einfach umwerfend. Der Blick ist klar, die Bilder sind sehr ruhig, Ozon lässt sich Zeit, lässt uns Zeit, teilzuhaben, mitzufühlen. Endlich mal wieder ein Film, in dem nicht dauernd etwas passieren oder gesagt werden muss, in dem ich einfach nur Menschen beim Nachdenken, beim In-sich-Hineinhören beobachten kann. Emmanuèles innere Kämpfe, auch Andrés Leiden, Pascales Verbitterung, das Versinken der Mutter in Depression und totaler Verschlossenheit, all dies bekommt Raum, sich mitzuteilen und sich zu entfalten. Typisch für diesen Regisseur ist dabei immer, dass dies Menschen mit reichlich Ecken und Kanten sind, dass die Familiengeschichte alles andere als gefällig oder übersichtlich ist. Vieles bleibt unausgesprochen, unerklärt, wird in Randbemerkungen oder Halbsätzen angedeutet, und die wenigen Rückblenden, die zwei denkbar egozentrische und unempathische Eltern zeigen, können nur ansatzweise als Aufklärung dienen. Sowieso muss nicht immer alles restlos aufgeklärt oder durchleuchtet werden, die Menschen sind so, wie sie sind, und selbst wenn André, wie man sehr häufig sieht und spürt, ein äußerst unangenehmer Zeitgenosse gewesen sein muss, ist sein Wunsch, dieses Leben zu beenden, vollkommen nachvollziehbar und verdient auf seine Weise genauso viel Respekt wie etwa sein Ex-Geliebter Gérard (von den beiden Töchtern stets nur als das „Stück Scheiße“ bezeichnet), der das Unternehmen in letzter Minute noch an die Polizei verrät, weil er André nicht verlieren will.
Drehbuch, Inszenierung, Schauspieler, Timing, alles stimmt hier einfach, und so ist ein herausragendes Kinostück entstanden, ein tief bewegender, gefühlvoller Film, der zwischendurch immer wieder Momente des Humors, der Skurrilität findet, der ganz viele Themen verarbeitet, ohne unter ihrer Last zusammenzubrechen und der durch ein kongeniales Ensemble getragen wird. Lange habe ich keinen so guten Film von Ozon gesehen, und das will bei diesem äußerst produktiven und kreativen Filmemacher wirklich mal was heißen. (15.4.)