Ghasideyeh gave sefid (Ballade von der weißen Kuh) von Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam. Iran/Frankreich, 2021. Maryam Moghaddam, Alireza Sanifar, Avin Purraoufi, Pourya Rahimisam, Lili Farhadpour

   Minas Mann Babak wird des Mordes für schuldig befunden und hingerichtet. Sie bleibt mit ihrer gehörlosen Tochter Bita allein, und weil sie nicht zur Schwiegerfamilie ziehen will, droht der Schwiegervater damit, ihr das Sorgerecht für Bita entziehen zu lassen. Ein Mann klingelt an der Tür, stellt sich als Reza vor, ein Freund Babaks. Angeblich hat er noch Schulden bei Babak und zahlt Mina einen großen Geldbetrag aus und hilft ihr auch sonst enorm, besorgt ihr zum Beispiel eine Wohnung, weil sie aus ihrer natürlich alsbald rausgeworfen wird. Wir erfahren bald, dass Reza in Wahrheit einer der Richter ist, die für das Todesurteil verantwortlich sind, und wir erfahren zusammen mit Mina auch, dass sich ein neuer Zeuge gemeldet hat, und plötzlich klar wird, dass Babak unschuldig hingerichtet worden ist.  Der Staat erkennt der Witwe dafür ein „Blutgeld“ zu, das aber auch der zornige Schwiegervater für sich reklamiert. Mina und Reza kommen sich langsam näher, und als sein Sohn durch eine Überdosis zu Tode kommt., nimmt sie den verzweifelten und kranken Vater bei sich auf. Er zieht bei Gericht ein paar Strippen, obwohl er seinen Job hingeworfen hat, sodass Mina den Prozess um das Sorgerecht gewinnt, doch dann steckt ihr der wütende Schwager, mit wem sie sich da eingelassen hat. Mina vergiftet Reza und verlässt zusammen mit Bita die Wohnung in eine vollkommen ungewisse Zukunft, denn wie man weiß, und wie einem dieser Film mehrmals sehr deutlich zu verstehen gibt, sind Witwen mit Kindern im Iran ungefähr soviel wert wie Dreck.

   Ein bitteres und mit ruhiger Unerbittlichkeit ablaufendes Drama, das sehr wohl hoffnungsvolle und zarte Zwischentöne zulässt, aber nie den klaren Blick auf die Verhältnisse verliert: Eine schlampige, grausame Lynchjustiz, die im Zweifelsfall lapidar erklärt, Gottes Wille sei geschehen, eine schikanöse Bürokratie, an der der einzelne Bürger (und erst recht die Bürgerin) sich unweigerlich die Zähne ausbeißen müssen, und ganz allgemein eine Gesellschaft, in der Frauen nur dann toleriert werden, wenn sie bei ihrem Mann leben (oder besser gesagt hinter ihm), und für eine Witwe ist es gänzlich undenkbar, ein eigenständiges Leben zu führen – ihnen wird am Platz im Hinterzimmer der Schwiegerfamilie zugedacht und mehr nicht. Mit dem Tod ihres Mannes ist gleichzeitig auch ihr eigenes Leben zuende, und weil sich Mina bei aller Trauer und Verzweiflung damit nicht abfinden mag, gerät sie in einen schlimmen Konflikt. Sie ist eine entschlossene, beharrliche Frau, die von Büro zu Büro geht, um die Verantwortlichen für den Justizirrtum zur Rede zu stellen, und die ihrem Schwager gegenüber immer wieder standhaft bleibt und sich nicht darauf einlässt, bei seiner Familie verstaut und praktisch weggesperrt zu werden. Ihr gegenüber steht Reza, der mit sich absolut nicht im Reinen ist, der sich zutiefst schuldig fühlt und seinen Beruf nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Die Läuterung kommt für ihn allerdings zu spät, denn seinen Sohn hat er längst verloren, der flüchtet regelrecht zur Armee und ist kurz darauf tot. Und Mina kann er sich nicht offenbaren, trägt schwer an seinem Geheimnis, das den beiden ohnehin jede Möglichkeit auf eine gemeinsame Zukunft nimmt.

 

   Sowohl auf ganz privater, intimer als auch auf größerer, gesellschaftlicher Ebene ist dieser Film von sehr eindrucksvoller Ausdruckskraft und politisch gesehen auch ziemlich deutlich. Minas Geschichte ist die Geschichte vieler Frauen, das Schicksal ihres Mannes ist das Schicksal vieler, das Vorgehen des Justizapparates wird sich gleichsam in vielen ähnlichen Fällen wiederholen, und die Haltung der Familie Babaks spiegelt die Haltung einer gesamten Gesellschaft wider. Dennoch läuft die Handlung mit einer Ruhe ab, die an Farhadis iranische Meisterwerke erinnert, und die dem Drama um so mehr Wucht und Wirkung gibt. Die Schauspieler sind stark, vor allem die Hauptdarstellerin, die zugleich auch an Drehbuch und Regie mitgewirkt hat, ist ganz großartig, und so habe ich hiermit nun das erste richtige Fünf-Sterne-Highlight des Jahres hinter mir. ˜˜˜˜˜ (9.2.)