Belfast von Kenneth Branagh. England, 2021. Jude Hill, Caitriona Balfe, Jamie Dorman, Judi Dench, Ciarán Hinds, Colin Morgan, Lara McDonnell, Gerard Horan

   Erst einmal hab ich mich natürlich auf den Film gefreut. Endlich mal wieder was aus und über Irland, dazu noch von einem, der genau weiß, wovon er erzählt und der sich endlich mal nicht hinter irgendwelcher Hochkultur oder banalem US-Mainstreamzeugs versteckt, sondern der von sich und seiner Kindheit in Belfast berichtet.  Und da Mr. Branagh als Schauspieler nicht in Erscheinung tritt, besteht auch nicht die Gefahr, dass er die Leinwand wie schon häufig geschehen mit all seinem Temperament und seiner Eitelkeit ganz für sich vereinnahmt. All das schien sich im Voraus zu einer sehr vielversprechenden Sache zu summieren – glücklich gemacht hat mich der Film, ich muss es leider sagen, aber dann doch nicht, zumindest nicht im erhofften Ausmaß.

   Denn ganz daneben ist „Belfast“ natürlich auch nicht: Eine spürbar von Herzen kommende Hommage an die Kindheit in der Heimatstadt, an ihre Menschen, an die, die gegangen sind, an die, die geblieben sind, an die, die sich verloren haben. Drei sehr ernsthafte, irgendwie auch aufrichtig wirkende Sätze zum Abspann, die dem oft etwas zu gefällig wirkenden Ganzen ein wenig Gewicht hätten verleihen können, wenn – ja, wenn… Die Schwarzweißfotografie hat mir sehr gut gefallen, ein paar knorrige Typen am Rande auch (die Herrschaften Dench und Hinds müssen ja nicht extra erwähnt werden). Tja, und natürlich der Soundtrack von Van the Man, ich meine, wann hat man schon mal einen ganzen Film voll mit seinen Songs gesehen, und neben den unerfreulichen Rumpelbluesstücken jüngerer Jahre gibt‘s doch auch ein paar seiner herrlichen Songs aus der großen alten Zeit, und wenn überhaupt einer für sich beanspruchen kann, die Stimme Belfasts zu sein, dann sicherlich der Herr Morrison.

   Alles also eigentlich ganz prima – oder? Leider nicht so ganz, jedenfalls nicht für mich, denn hinter dieser eigentlich sehr vielversprechenden Fassade habe ich nur wenig Substanz gefunden im Sinne meiner Erwartungen. Es ist glaube ich eine Frage des Ansatzes. Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass Branagh tatsächlich vorhat, diesen Film aus der Sicht des neunjährigen Buddy zu erzählen, und darauf muss man sich wirklich einlassen, denn jede einzelne Szene wird durch diese Perspektive gefiltert, und das hat mir manchmal schon ein paar Probleme gemacht. Die Idylle der „typisch“ irischen Wohnstraße erschien mir anfangs als sehr ärgerliches Klischee (tobende Kinder, schreiende Mütter usw.), und auch später kam mir vieles merkwürdig seicht oder läppisch vor, bis mir klar wurde, dass dies die Welt ist, so wie Buddy sie sieht. Ein Kinoverrückter, ein ganz normaler Junge, der natürlich in ein unerreichbar erscheinendes Mädchen verknallt und der deinen Dad für den Coolesten hält. Dad arbeitet drüben in England, während Mam die beiden Kinder daheim aufzieht, und aus gelegentlichen Unterhaltungen könnte sich andeuten, dass sie so weinige Probleme hatten und noch haben. Als dann die „Troubles“ ausbrechen und die Katholiken in der Straße massiv schikaniert werden, wird es dann schwieriger mit Buddys Blickwinkel, und Branagh muss wohl oder übel den Fokus etwas erweitern, was ihm aber auch nicht besonders überzeugend gelingt. Buddys Dad hat Stress, weil er sich nicht an den Gewaltaktionen der radikalen Protestanten beteiligen will, und so wird der Gedanke ans Auswandern laut, wie schon bei so vielen Iren zuvor. Buddy begehrt natürlich auf, will um keinen Preis fortziehen, zumal er es gerade geschafft hat, bei seiner Angebeteten ein wenig anzudocken, und auch Mam ist nicht begeistert, doch schließlich wächst der Druck und nach einer heiklen Konfrontation, die sich in Buddys Welt wie High Noon auflöst, ist die Frage entschieden, und Grandma verabschiedet ihren Jungen in die Zukunft mit einem vieldeutigen „Dont’t look back“.

 

   Es gibt immer wieder „tiefer“, ernstere Akzente, die im großen Ganzen keine rechte Resonanz finden. Branagh hat keinen sehr einheitlichen Film gemacht, für mein Empfinden nicht immer den passenden Ton getroffen. Mal liefern sich Mom & Dad, die beide schnieke wie Models aussehen, ein cooles, sexy Soulduell, dann wieder terrorisieren maskierte Fanatiker die katholischen Einwohner des Viertels, aber das alles kommt nie so richtig zusammen, wirkt manchmal ein bisschen zu willkürlich zusammengewürfelt. Inhaltlich hat Branagh meiner Meinung nach noch nie einen persönlicheren. potentiell interessanteren Film gedreht als diesen, doch als Autor/Regisseur hat er mich früher schon mal deutlich mehr überzeugt, und das ist gerade in diesem Fall sehr schade. Weil mir das Thema Irland noch immer so am Herzen liegt, erwarte ich etwas mehr als diesen halbgaren Mix aus schierer Nostalgie und coming-of-age-Geschichte im Zeichen der Unruhen. Den dritten Punkt hat sich eigentlich nur Mr. Morrison verdient, aber wenigstens die Tonspur habe ich weitgehend genossen… ˜˜˜ (2.3.)