Tre piani (Drei Etagen) von Nanni Moretti. Italien/Frankreich, 2021. Margherita Buy, Nanni Moretti, Alessandro Sperduti, Riccardo Scamarcio, Elena Lietti, Alba Rohrwacher, Adriano Giannini, Denise Tantucci, Paolo Graziosi, Anna Bonaiuto, Alice Adamu, Chiara Abalsamo, Gea Dall’Orto, Tommaso Ragno

   Ein gutbürgerliches Wohnhaus in Rom, drei Etagen, vier Familien, viele Geschichten, die über zehn Jahre hinweg erzählt werden. Dora und Vittorio kämpfen um ihren Sohn, der sich vehement von ihnen lossagt, einen tödlichen Autounfall verursacht und im Gefängnis landet. Monica, deren Mann berufsbedingt zumeist abwesend ist, bringt erst ein, später dann ein weiteres Kind zur Welt und zerbricht an ihrer Einsamkeit und ihrer Angst, die gleichen psychischen Defekte zu erleiden wie ihre Mutter. Lucio und Sara parken ihre kleine Francesca gern beim älteren Ehepaar gegenüber, doch als sich der zunehmend demente Renato eines Abends verirrt, und Lucio ihn und seine Tochter im Park auffindet, verirrt sich der verzweifelte Vater in Paranoia und Verdächtigungen, die auch diese Familie zerstören. Zudem kann der den Avancen von Renatos minderjähriger Enkelin Charlotte nicht widerstehen und landet beinahe auch im Knast. Zehn Jahre später werden Vittorio und Renato nicht mehr da sein, wird sich Monica irgendwohin auf den Weg gemacht haben, wird Francesca ein Auslandsjahr in Spanien starten und ihre halbwegs zusammengerauften Eltern am Flughafen zurücklassen, wird Charlotte auf eine Berufung gegen Lucio verzichtet haben und wird es Dora gelingen, wenigstens einen vorsichtigen Neuanfang mit ihrem Sohn zu machen.

   In ganz ruhigen, klaren Bildern behandelt Moretti in diesem wunderbaren Ensemblefilm ganz existentielle Themen – Liebe, Verlust, Misstrauen, Angst, Verlorenheit -, und er tut dies mit meisterlicher Souveränität, ein wenig distanziert zuweilen, dann wieder sehr gefühlvoll, niemals jedoch melodramatisch, und auch der eine oder andere typisch schräge Moretti-Moment aus früheren Filmen ist noch präsent, also der Mann ist nicht einfach nur älter und weiser geworden. Die Situationen sind alltäglich, die Entscheidungen manchmal so fatal, wie wir uns eben entscheiden, die Tragödien groß oder klein, und in zwei Fällen haben wir zwischen Männern und Frauen eine deutliche Zuordnung, was Offenheit und Aufeinanderzugehen betrifft, aber es gibt eben auch Gegenbeispiele, wie überhaupt Moretti von Moralisieren und Verurteilen vollkommen absieht, die Menschen mit ihren Handlungen, Irrtümern und Schwächen ganz einfach so zeigt, wie sie sind.  Es entsteht zu Beginn ein scheinbar recht dicht verzurrtes menschliches Geflecht, das sich am Ende deutlich gelockert und entwirrt haben wird, und zwar nicht nur durch zwei Todesfälle, und es bleibt auf jeden Fall die Feststellung, dass dieser Abstand, diese vielfältigen Aufbrüche unbedingt notwendig waren, um das Leben der Einzelnen zu befreien. Zuvor war Vittorio gefangen seiner Enttäuschung über den Sohn, dieser wiederum war gefangen im Zorn auf die Eltern, Dora war gefangen in den Konventionen einer Ehe und dem Platz, der ihr angeblich als Ehefrau zustand, Lucio war gefangen in seiner obsessiven Liebe zur Tochter, Monica war gefangen in ihrer Angst, nicht zu genügen und so zu werden wie die Mutter, Charlotte war gefangen in ihrer Teenagerschwärmerei für Lucio, und so weiter. Befreiung steht am Ende gottlob nicht für ein großes, banales Happy End, denn davon kann keine Rede sein, vieles bleibt offen und ungeklärt, doch wie man so schön sagt, das Leben geht weiter und zwar in jedem Sinne.

 

   Mir hat Morettis neuer Film sehr gut gefallen, seine Mischung aus diskreter Beobachtung und vielgestaltigem Drama, das trotz der Zeitsprünge sehr dicht und bewegend bleibt. Ein tolles Ensemble ist am Werk, manchmal musste ich ein bisschen an Claude Sautet denken, doch im Grunde ist dies ein durch und durch italienischer, ein Moretti-Film, der erste übrigens seit zehn Jahren im Kino, zwei schöne, kostbare Stunden. ˜˜˜˜» (24.3.)