La fracture (In den besten Händen) von Catherine Corsini. Frankreich, 2021. Marina Foïs, Valeria Bruni Tedeschi, Pio Marmaï, Aïssatou Diallo Sagna, Camille Sansterre, Jean-Louis Coulloc’h

   Der ganz alltägliche Wahnsinn in unserer wahnsinnigen Welt von heute: Draußen auf den Straßen prügeln sich Gelbwesten und Polizisten gegenseitig ihre Aggressionen aus dem Leib, und ein paar Schritte weiter im nächstgelegenen Krankenhaus kämpfen Ärzte und Pflegekräfte ebenso verzweifelt wie vergeblich gegen diesen Wahnsinn an, und obwohl sie längst um die Vergeblichkeit ihres Kampfes wissen, werden sie ihn bis zur endgültigen Erschöpfung weiter kämpfen. Und vielleicht wird gelegentlich jemand draußen vor dem Fenster stehen und Applaus klatschen…

   Ein paar Menschen stehen im Zentrum dieser einhundert extrem anstrengenden Minuten: Zwei Frauen, ein Paar, das im Stadium der Trennung lebt, die eine will gehen, die andere will sie halten und rackert sich ohne Rücksicht auf sich und ihre Umwelt wie verrückt ab, um dieses Ziel zu erreichen. Zuhilfe kommt ihr ein böser Sturz, eine Armfraktur, die die Partnerin gegen ihren Willen zwingt, sich an ihr Bett zu setzen und die wilde Fahrt mitzumachen. Dann gibt‘s da noch einen Kraftfahrer, der sich aus Neugier der Demo angeschlossen und gleich in vorderster Front mitgetönt hatte, eine Ladung Schrot ins Bein gekriegt hat und nun in selbigem Hospital landet, aus dem er aber am liebsten sofort wieder entweichen möchte, denn er hat ganz dringend eine Ladung abzuliefern und seine Existenz steht auf dem Spiel. Und dann gibt’s da noch eine Krankenschwester, deren Kind zuhause selbst krank ist, die dennoch ihre x-te Nachtschicht am Stück abreißt – gegen jede Regel natürlich, aber wer lange genug in der Pflege tätig ist, weiß, was diese Regeln wert sind – und trotz aller Bedrängnis und Belastung alles gibt, um auch in dieser Nacht einmal mehr ihr Bestes zu tun. Drumherum scharen sich etliche Nebenfiguren, Patienten, Pflegepersonal, draußen tobt der Mob und begehrt Einlass, während die Polizei darauf besteht, dass den Demonstranten kein Asyl gewährt werden darf. Am Ende haben sich die beiden Frauen möglicherweise wieder zusammengerauft, erleidet der unglücksselige LKW-Fahrer einen weiteren schlimmeren Unfall und kehrt prompt ins Krankenhaus zurück und beendet die Krankenschwester eine weitere Schicht mit hilflosen Tränen im Gesicht.

   Wie gesagt – ein anstrengender, zum Teil nervenaufreibender, dann aber auch wieder nachdenklicher und vor allem auch humorvoller Film, der sehr viel über uns und unsere gegenwärtige Zeit sagt, und die ist ja beileibe auch fordernd genug. Die zurzeit gefühlt vorherrschende Mischung aus Hysterie und totaler Egozentrik ist absolut toxisch, und Corsini gelingt es vorzüglich, die destruktive Kraft dieser Stimmungslage nachfühlbar zu machen. Manchmal treibt sie‘s für meinen Geschmack ein bisschen zu bunt, ich meine, was die Hysterie angeht, und zwischendurch wollte ich die Bruni Tedeschi am liebsten mit nem nassen Waschlappen erschlagen, so sehr ist die mir auf die Nerven gegangen. Aber wie gesagt, immer wieder wechselt das wüste Tohubawohu ab mit stillen, empathischen, fast zarten Augenblicken, in denen die Menschen zeigen, dass sie durchaus zur Menschlichkeit noch fähig sind, wenn sie nur wollen, bevor dann wieder die nächste Krise losbricht und ein jeder wieder nur an sich denkt und alle anderen bedenkenlos auf der Strecke lassen würde, um endlich an die Reihe zu kommen. Wir erleben eine Gesellschaft auf dem Drahtseil, auf äußerst dünnem Eis, knapp am Abgrund, ständig bedrängt von einer extrem explosiven Gemengelage aus Unzufriedenheit, Enttäuschung, Wut, Hilflosigkeit und Existenzangst. Macron ist doch nicht der erhoffte Messias, sondern er kann zum Teufel gehen, die Schere zwischen Unten und Oben klafft immer mehr auseinander, und dann gibt’s da noch all jene asozialen Subjekte, die sich die Proteste zunutze machen, um einfach mal Dampf abzulassen, Randale zu veranstalten, und irgendwas kaputtzumachen und die die Emotionen auf den Demos erst richtig anheizen mit dem bewussten Ziel, Gewalt und Zerstörung zu erzeugen. Auch das transportiert dieser Film sehr stark, die bange Vorstellung, die auch mich manchmal befällt, dass alles irgendwie den Bach runtergeht. Inmitten all dieser chaotischen Exzesse versuchen dann die Pflegekräfte und Ärzte, gern als „Helden des Alltags“ stilisiert und missverstanden, mit letzter Kraft zu helfen, wo sie helfen können, und wer wie ich jahrzehntelang in der Pflege beschäftigt ist, hat mittlerweile begriffen, dass die Bedrohung nicht nur von außen kommt, sondern ebenso von innen, von den eigenen Strukturen. Irrsinnige Dienstpläne, menschenverachtende Arbeitsbedingungen und dazu noch all die Anforderungen, denen man von verschiedenen Seiten ausgesetzt ist, sorgen für einen derartig zermürbenden, kräfteraubenden Arbeitsalltag, dass für die Not der Patienten kaum noch Ressourcen übrig bleiben, geschweige denn für ein eigenes Leben. Die Laiendarstellerin in der Rolle der Pflegerin ist so großartig, dass es mir manches Mal das Herz eingeschnürt hat, ihr zuzusehen, und obwohl ich nicht behaupten möchte, ständig unter solch extremen Umständen gearbeitet zu haben, kamen mir doch etliche Situationen sehr bekannt vor. Dieser Teil des Films hat mich im Vergleich zu einigen anderen natürlich besonders angesprochen, und man spürt Corsinis Mitgefühl sehr deutlich, was aber nicht heißen soll, dass sie sich voll und ganz auf eine Seite schlägt. Jeder steht unter Stress, alle haben Sorgen, Schmerzen, haben Prügel oder Tränengas abgekriegt oder sorgen sich um die Lieben, die noch irgendwo draußen im Tumult stecken. Jeder hat seine eigene Agenda und hält diese unweigerlich für die einzig wichtige, und genau das ist es, was uns immer wieder einholt und überrollt.

 

   Ein turbulenter, bissiger, ironischer, mal trauriger, mal zorniger Film, der gottlob immer eine gewisse Distanz hält, der natürlich keine ausgewogene soziologische Studie sein möchte, der aber einiges von dem, was unser Zusammenleben zunehmend belastet und auch gefährdet, auf den sogenannten Punkt bringt. Das kann man sich nicht immer antun, aber wenn man mal Lust hat, sich ein bisschen ins Hier und jetzt zu stürzen und sich ordentlich durchschütteln zu lassen, dann ist man hier genau richtig. ˜˜˜˜» (26.4.)