Good luck to you, Leo Grande (Meine Stunden mit Leo) von Sophie Hyde. England, 2022. Emma Thompson, Daryl McCormack
Ein Stück für zwei Personen und vier Begegnungen in einem Hotelzimmer. Sie: 60+, verwitwet, pensionierte Religionslehrerin, insgesamt very British. Er: Mitte 20, Ire, will sich seine Zukunft am College finanzieren, und das tut er als Sexdienstleister. Sie bucht ihn, um den ersten Orgasmus ihres Lebens zu haben, denn 30 Jahre ritualisierter, frustrierender ehelicher Beischlaf konnten das nicht leisten. Da sie aber wie erwähnt very British ist, neurotisch, blockiert undsoweiter, dauert es eine ganze Weile, bis die größten Hemmungen überwunden sind, und erst kurz vor ihrem endgültigen Abschied nach dem vierten Date klappt’s dann – von eigener Hand und ohne sein direktes Zutun.
So richtig witzig wie erwartet fand ich den Film, bis auf eine kurze Szene in der Hotellobby, eigentlich nicht, aber das ist im Nachhinein auch gar kein Problem, denn die Themen, die er verhandelt, sind nicht unbedingt witzig, und er verhandelt sie mit soviel Empathie und Feingefühl, dass sich gelegentlich höchsten ein wenig Ironie oder auch mal absurder Humor einstellen. Abgesehen von den enormen Schwierigkeiten, die Nancy hat, all ihre inneren Stimmen niederzuringen und sich einfach mal auf ganz unverbindlichen Sex einzulassen, und die in Emma Thompsons Darstellung für meinen Geschmack ein wenig über Gebühr strapaziert werden, geht es um einige Dinge, die weit über den Rahmen dieser kleinen Geschichte hinausragen: Weibliche Sexualität, weibliches Körpergefühl, Sexualität in fortgeschrittenem Alter. Zwei konträre Welten prallen aufeinander: Die etwas pedantische, verkopfte Dame, die zu ihren beiden Kindern wohl auch ein eher distanziertes Verhältnis hat, die all die gewöhnlichen Komplexe und inneren Hindernisse zu verarbeiten hat und die lieber eine vorgefertigte Liste abarbeiten als sich dem Moment ausliefern will, und der smarte, attraktive Loverboy, der sich einerseits als sehr guter und einfühlsamer Menschenkenner entpuppt, andererseits aber immer auf klare Linien besteht und Nancy vor allem immer wieder daran erinnert, dass es hier nur um eine Dienstleistung geht. Sie wiederum ignoriert diese Grenze regelmäßig, versucht über sein Leben und seine Familie zu sprechen, dringt gegen seinen Willen in Bereiche vor, in die er sich selbst nicht gern begibt. Immerhin offenbar er ihr irgendwann seinen Schmerz über die Mutter, die ihn verstoßen hat, und immerhin erzählt er seinem Bruder endlich die Wahrheit über seine Tätigkeit, aber ich persönlich hätte auf diesen Teil der Story verzichten können. Viel interessanter ist ja doch Nancys Weg in die Freiheit, oder jedenfalls der erste Schritt dorthin, der Weg zu mehr Selbstbewusstsein, der sich letztlich darin äußert, dass sie ihren nackten Körper offen in Spiegel ansehen kann, ohne ihn wie gewöhnlich reflexartig zu bedecken, dass sie offenbar bereit ist, ihn so zu akzeptieren, wie er nun mal ist und all die Normen und Vorstellungen von Schönheit endlich hinter sich zu lassen. In diesen Momenten ist Emma Thompson viel stärker als in ihren routiniert „komischen“ Szenen, hier lässt sie uns die Nancy viel deutlicher erkennen und spüren, wie auch in jener kurzen Szene, in der sie den Körper Leos streichelt, ganz vertieft, verzückt, eine Frau, die einfach nur genießt. Ein sehr sinnlicher, erotischer Augenblick, den Thompson ganz wunderbar spielt. Daryl McCormack ist jederzeit ein kongenialer Partner, dessen geschmeidige Fassade zunehmend bröckelt, je unbequemer Nancy ihm auf die Pelle rückt, der sie immer wieder einzufangen und den Takt vorzugeben versucht, sich aber auch immer wieder gegen ihre neugierigen Fragen zur Wehr setzen muss und letztlich vielleicht ganz dankbar ist, dass auch er manche Dinge endlich mal rauslassen kann.
So ist ein wirklich ungewöhnliches Duett entstanden, getragen von zwei Klasseschauspielern und einem Drehbuch, das bis auf meinen erwähnten Einwand äußerst sensibel mit schwierigen und leider noch immer tabuisierten Themen umgeht. Die Regisseurin hat jeglichen unnötigen Firlefanz drumherum weggelassen und sich ganz auf die vier Dates und die beiden Protagonisten konzentriert, und ich könnte mir sehr gut vorstellen, diesen Stoff in wenigen Jahren auf der Theaterbühne zu sehen. (19.7.)