Vous n’aurez pas ma haine (Meinen Hass bekommt ihr nicht) von Kilian Riedhof. Frankreich/BRD/Belgien, 2022. Pierre Deladonchamps, Zoé Iorio, Camélia Jordana, Yannick Choirat, Anne Azoulay, Farida Rahouadj, Christelle Cornil
Antoine verliert seine Frau Hélène bei den Anschlägen in Paris im November 2015. Sie ist unter den vielen Toten im Bataclan. Als er Tage danach endlich ihren Leichnam sehen und so von ihr verabschieden kann, verfasst er einen Text, postet ihn bei Facebook und erzielt damit ein unerwartetes, zunächst landesweites, später internationales Echo. Unter der Überschrift „Meinen hass bekommt ihr nicht“ distanziert er sich davon, Gewalt und Hass mit Gewalt und Hass zu beantworten, und er distanziert sich vor allem davon, den Mördern irgendeine weitere Bedeutung in seinem Leben zu gewähren. Daran gut er gut, denn er hat alle Hände voll damit zu tun, seine eigene Trauer zu bewältigen (und manchmal auch zu bekämpfen) und für sich und den dreijährigen Sohn Melvil eine Zukunft zu bauen.
Dazu gehören die ständigen Auseinandersetzungen mit den inneren Dämonen, den emotionalen Extremzuständen zwischen Wut, Verzweiflung, herausforderndem Trotz, Hoffnung auf neuen Lebenssinn oder einfach vollständiger Leere. Dazu gehören auch die Auseinandersetzungen mit der Familie, sowohl seiner eigenen als auch der Hélènes, die alle nur „das Beste“ wollen, die aber alle ihre eigene Trauer zu bewältigen haben. Dazu gehört aber vor allem die unendlich schwierige Aufgabe, dem kleinen Melvil den endgültigen Verlust der Mutter irgendwie verständlich zu machen und fortan irgendwie beide Rollen für ihn zu besetzen, obwohl ihm manchmal schon die eine zuviel war.
Ganz am Schluss, als sich der Ausklang in etwas arg banale Bilder von Schönheit und Harmonie verliert, rutscht die Inszenierung mal kurz über die Kitschkante. Ansonsten habe ich einen sehr berührenden und zu Herzen gehenden Film über Trauer in ihren vielen Formen gesehen, der dann am eindrucksvollsten ist, wenn er ganz nahe bei Antoine und seinem unmittelbaren Umfeld bleibt, ihm, dem kleinen Melvil, den Geschwistern, der Schwägerin und der Schwiegermutter, mit denen er zwischenzeitlich durchaus ringen muss, der er aber eigentlich nur benutzt, um sich irgendwie abzureagieren, was durchaus auch so verstanden wird. Teilweise stellt die ganze Situation eine fast unerträgliche Belastungsprobe für die gesamte Familie dar, und Drehbuch und Regie versuchen durchaus nicht, dies in irgendeiner Weise abzumildern. Antoine ist mal unerträglich, mal suizidal, mal schrecklich egozentrisch und dann wieder ein rührend bemühter Vater, und so, wie er uns hier dargestellt wird, räumen wir ihm alles Recht dazu ein. Nicht nur der glänzend spielende Pierre Deladonchamps, sondern auch das bemerkenswert empathische Buch helfen uns, ihn durch all seine Zustände zu begleiten, ohne ihn jemals zu verurteilen, aber auch ohne bloßes Mitleid, denn das allein würde ihm zweifellos nicht geholfen haben. Er braucht die Widerstände, den Widerspruch, natürlich auch die Wärme und die Freundschaft, um seinen Kompass nicht völlig zu verlieren. Denn so bestechend klar, wie er sich in seinem äußerst bemerkenswerten Text äußert, kann er sein Leben leider nicht gestalten, aber das hätte auch übermenschliche Kräfte und Fähigkeiten von ihm verlangt. Natürlich nehmen Trauer und Gram zwischendurch immer wieder überhand, das Glück, falls es denn jemals wieder herstellbar ist, wird er hart erkämpfen müssen, aber immerhin gelingt es ihm, sich nicht von Rachegedanken und blankem Hass beherrschen zu lassen. Der Film verhält sich da sehr konsequent, gönnt den Mördern und ihrer Tat keinen Blick, bleibt bei den Opfern und ihren Hinterbliebenen, und das ist gut und richtig. Die erste Unsicherheit in der Nacht der Anschläge, die aufsteigende Panik, die wilden Versuche, inmitten des Chaos‘ irgendwie an Informationen zu kommen bis hin zu der bitteren Nachricht – diese Szenen sind erschütternd und ergreifend in ihrer Intensität, und auch wer so etwas noch nicht erleben musste, wird sich zumindest bis zu einem gewissen Grad in die Gefühlslage der Beteiligten hineinversetzen können. Und dabei sollte man es auch belassen. Jeder Versuch, die Motive dieser Wahnsinnigen zu begreifen, ist vergeudete Lebenszeit, das hat Antoine sehr schnell erkannt und artikuliert, und er ist entschlossen, diesen Menschen keinen Platz in seinem Leben einzuräumen, sondern sich auf das zu konzentrieren, was wichtig ist.
Genau das tut der Film auch, und das tut er wirklich sehr überzeugend. Antoines Anliegen kommt recht früh in der Geschichte und wird danach vielleicht nicht immer als roter Faden weitergeführt, wie ich es erwartet hätte, aber indem wir ihm auf den Weg durch die Trauer zusehen, erleben wir ein Stück elementarer Menschlichkeit, und das ist wohl das Einzige, was man dem Hass und dem Wahn letztlich entgegensetzen kann. (21.11.)