Petite Maman von Céline Sciamma. Frankreich, 2021. Joséphine Sanz, Gabrielle Sanz, Nina Meurisse, Stéphane Varupenne, Margot Abascal

   Nelly ist acht, als die Oma stirbt und sie sich von den anderen alten Damen im Pflegeheim verabschieden muss. Mit ihrer Mutter Marion fährt sie zu Omas Haus, um es leerzuräumen. Marion reist ohne Erklärung ab, und Nelly bleit mit ihrem Vater allein. Im Wald lernt sie ein gleichaltriges und ihr sehr ähnlich scheinendes Mädchen kennen. Dieses Mädchen heißt Marion, wie ihre Mutter, und lebt in einem Haus, das genau so aussieht, wie das der Oma, und schließlich lernt Nelly auch Marions Mutter kennen, die den gleichen Gehstock benutzt, wie einst ihre Oma. Also folgert Nelly, dass Marion ihre Mutter sein muss, und sie sagt ihr das auch. Die beiden Mädchen entwickeln eine sehr intensive Beziehung, die zu Ende geht, als Marion ins Krankenhaus fährt, um sich einer Operation zu unterziehen, und auch Nelly muss abreisen, denn das Haus der Oma ist nun leer. Immerhin ist die erwachsene Marion wieder da, und Nelly kann auf ihre Mutter nun ganz neu zugehen.

   Eine faszinierende, magische, mythische Mysteryromanze über Leben und Freundschaft, Verlust und Trauer, und in nur fünfundsiebzig Minuten gelingt der fabelhaften Regisseurin Céline Sciamma das Kunststück, solch schwere und elementare Themen wunderbar einfach und leichthändig zu erzählen und dennoch so, dass sie niemals ihr Gewicht verlieren würden. Die beiden Mädchen geben sich vollkommen ernsthaft ihren Spielen und ihren Gesprächsthemen hin, versuchen deutlich sichtbar, die Reichweite dessen zu begreifen, was sie gerade erleben, ohne dies jedoch letztlich zu schaffen – wie sollten sie auch. Sciamma widersteht der Verlockung, billige vorausdeutende Motive einzubauen, sie konzentriert sich ganz auf Nelly, die durch die Bekanntschaft mit der kleinen Mutter die große Mutter neu und besser zu verstehen lernt, die ihre Ängste, ihre Traurigkeit und auch den Einfluss der Großmutter klarer erkennt und begreift. Und den nebelhaften schwarzen Panther, der manchmal nachts unten am Bettende auftaucht, den sieht sie endlich auch. Denn zuvor war Nelly eher ein skeptischer, zurückhaltender, sachlicher Typ, dem die Stimmungen der Mutter oft fremd waren, und die auch zu ihrer eigenen Trauer um die Großmutter erst Kontakt bekommt, weil sie den Ort, also das alte, leere Haus, und die Begegnung mit der petite maman auf sich wirken lässt.

 

   Ich will gar nicht soviele Worte machen, denn der Film tut dies auch nicht: Er ist rundherum großartig, optisch von herbstlicher Poesie geprägt, sehr ruhig und dezent im Erzählton, und natürlich getragen vom Zusammenspiel der beiden Mädchen, deren Ähnlichkeit dem Ganzen einen zusätzlichen doppelten Boden gibt. Sciamma hat mit „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ ein großes Versprechen abgegeben, und mit diesem Film hat sie dieses Versprechen eingelöst. Ich hoffe sehr, dass sie sich und ihrem beeindruckenden Niveau treu bleiben wird. ˜˜˜˜˜ (30.3.)