Spencer von Pablo Larraín. England/Chile/BRD/USA, 2021. Kristen Stewart, Timothy Spall, Sally Hawkins, Jack Farthing, Sean Harris, Jack Nielen, Freddy Spry, Stella Gonet, Amy Manson

   Weihnachten anno 1991 bei den Royals auf Schloss Sandringham. Obwohl die Königin der Herzen bereits mehr oder weniger aus dem inneren Kreis ausgeschieden ist, nimmt sie dennoch teil, weil die Etikette und die Presse es so wollen. Keiner ist damit glücklich – die Familie versucht nach Kräften, Charles‘ Noch-Ehefrau zu dulden und/oder zu ignorieren, und die wiederum versucht, irgendwie durch die drei Tage zu kommen, doch eigentlich taumelt sie nur von einer Krise in die nächste, schnappt sich am Ende ihre beiden Jungs, bevor ihr Papa ihnen beibringt, auf Fasane zu ballern, rauscht mit ihnen nach London, hört unterwegs Pop im Porsche und holt abschließend für alle drei Futter von KFC.

 

   Nach Pablo Larraíns exquisitem Film über die ehemalige US-First Lady war die Aussicht auf ein weiteres Werk in dieser Preisklasse für mich der einzige Grund, ins Kino zu gehen, und ich habe wahrlich keinen Grund, das zu bereuen, denn mit „Spencer“ knüpft Larraín in vieler Hinsicht an den Vorgänger an und präsentiert uns eine weitere ungewöhnliche, sperrige, launische, unberechenbare, suggestive, spekulative Fantasie, die man bitte nicht mit einer „seriösen“ Biographie verwechseln darf, denn darum geht es hier ganz sicher nicht. Larraíns spürt mit allen Mitteln, die ihm das Medium zur Verfügung stellt, einer Befindlichkeit nach, einer brüchigen, aber doch noch nicht gebrochenen Psyche, einer Frau, die sich aus welchen Gründen auch immer der übermächtigen Aufgabe stellt, drei Tage mit jenen Menschen zu verbringen, von denen sie sich eigentlich nur noch distanzieren will, oder besser, muss überhaupt noch weiter leben zu können. Ihre seelischen Zustände schwanken rasant zwischen Bulimie, Trotz, Verzweiflung, Auflehnung, Anlehnung, Momenten der Stärke und des Zusammenbruchs. Sie geht auf Spurensuche in ihrem alten, leerstehenden Elternhaus gleich nebenan, nur um auf die Reste einer insgesamt wenig glücklichen Kindheit zu stoßen, legt sich ständig und mit hartnäckiger Widerborstigkeit mit der Kleiderordnung und anderen Regeln an, muss ohnmächtig mitansehen, wie Camilla bereits einen Fuß in die Tür stellt, erträgt die verachtungsvollen und missbilligenden Blicke der anderen, erträgt den kalten Pragmatismus der Königin und die ebenso kalte Ignoranz ihres Ehemannes, sucht Zuflucht zu ihren beiden Jungs und ihrer Anziehdame Maggie, mit der sie fast eine Art von Freundschaft verbindet. Ansonsten gibt es keinen Halt und kein Zuhause in den riesigen Räumen und unter den Leuten bei Tisch, die in dem Film folglich so gut wie gar nicht zu Wort kommen und lediglich eine geschlossene Wand von Abweisung und Feindseligkeit darstellen. Denn auch sie sind irgendwie gefangen, müssen die ungeliebte Prinzessin von Wales ertragen, weil sie halt das Gesicht der Royals geworden und beim Volk mit Abstand am beliebtesten von allen ist. Dieses System ist in jeder Hinsicht hermetisch und zugleich gründlich vergiftet, es gibt von keiner Seite den Versuch der Versöhnung oder der Annäherung. Die Rituale und Regeln mit all ihrer grausig erstickenden Rigidität sorgen dafür, dass alles seine Ordnung hat, jedenfalls nach außen, und das allein zählt. Die Queen selbst stellt in einem ihrer wenigen Kontakte mit der Schwiegertochter mit unübertroffenem Pragmatismus und einem Anflug von Sarkasmus sehr richtig fest: Wir sind alle doch nur Mittel zum Zweck, und so haben sie es sich mit der Öffentlichkeit und der verfluchten Yellow Press eingerichtet als tapfere Vertreter einer heiligen Tradition, die offensichtlich unverzichtbar ist für die britische Identität. Auch bei Diana spürt man diese Zerrissenheit zwischen Auflehnung und Gehorsam, Wut und Resignation, Kampf und Kapitulation, Lebenslust und Melancholie. Sie kämpft um ihre Lebendigkeit, um ihre Seele, umso mehr als all die anderen, die sie umgeben, von beidem so gut wie nichts zu haben scheinen, und steigert sich soweit in diese Situation, dass sie sich gar mit Anne Boleyn identifiziert, die ebenfalls ihre Jugend und ihr Leben einer tyrannischen Monarchie opfern musste.  Sie wechselt die Seelenzustände und Identitäten (und Outfits) in fließenden Übergängen, Gegenwart und Vergangenheit tun dies manchmal auch, und Larraín hat daraus ein fulminant montiertes Seelen- und Familiendrama gemacht, durchaus mit abgründigen, sehr stillen Momenten, aber auch mit euphorischen, beinahe hysterischen Ausbrüchen, und einer Kristen Stewart, die diese Extreme mit bemerkenswerter Präsenz und Souveränität auf die Leinwand bringt. Johnny Greenwoods spektakulärer Soundtrack, ein Mix aus Psychojazz und Kammermusik, ist viel mehr als eine bloße musikalische Untermalung oder der übliche Geschmacksverstärker, sondern wie schon in „Jackie“ vielmehr ein veritables dramaturgisches Mittel für sich – nervenzerrend im buchstäblichen und auch besten Sinne des Wortes. Dazu noch die ausdrucksvolle Fotografie und Larraíns Gefühl für exzentrisches Timing und rücksichtslose Subjektivität, und heraus kommen zwei höchst stimulierende und beeindruckende Kinostunden, und ich hätte wirklich nicht gedacht, dass dieses Thema so etwas hervorzubringen imstande ist... ˜˜˜˜˜ (17.1.)