20.000 especies de abejas (20.000 Arten von Bienen) von Estibaliz Urresola Solaguren. Spanien, 2023. Sofía Otero, Patricia López Arnaiz, Ane Gabarain, Sara Cózar, Martxelo Rubio, Miguel Garcés

   Aitor ist acht und möchte viel lieber Lucía heißen. Aber das geht nicht, denn Aitor ist ja eigentlich ein Junge. Seine Mutter Ane ist die einzige, die ab und zu einen Draht zu ihrem introvertierten, einzelgängerischen Kind hat. Aber eben nur manchmal, denn mit der Familie, die in Frankreich nahe der baskischen Grenze lebt und arbeitet, läuft nicht alles gut, sowohl im Beruf als auch in der Ehe, wie immer sind die Erwachsenen allzu sehr mit ihren eigenen Nöten und Sorgen beschäftigt, und erst als Ane mit ihren drei Kindern im Sommer nach Hause zur Oma fährt, die draußen auf dem Land ein paar Bienenstöcke bewirtschaftet, geraten die Dinge langsam in Bewegung. Während Ane weiterhin gestresst ist, findet Aitor in der Großmutter eine verständnisvollere Begleiterin und in einem Mädchen aus dem Dorf eine Freundin, doch als immer deutlicher wird, worum es geht, reagiert auch die Oma überfordert. Erst nach einigen heftigen Konfrontationen gelingt es Aitor/Lucía, sich Gehör zu verschaffen und die Familie zu dazu bringen, sich wirklich mit seinem/ihrem Problem auseinanderzusetzen. Jedenfalls ist dies die Hoffnung, die am Schluss mitschwingt.

   Ein sehr schöner Film, der reizvoll zwischen einem präzise beobachteten archaisch-ländlichen Milieu und einem zurzeit extrem aktuellen Thema pendelt. Warum genau unsere sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtszugehörigkeit im Moment so ein großes Ding ist, weiß ich auch nicht so genau, hat wahrscheinlich wie üblich mit jahrhundertelanger Unterdrückung und Verdrängung zu tun und damit, dass wir uns plötzlich umso mehr auf unsere Identität und Individualität besinnen möchten, je stärker wie beides in der von uns selbst so gestalteten Welt zu verlieren drohen. Aber egal. Ich gebe zu, dass dies für mich nicht gerade das drängendste Thema unserer Zeit ist, aber das sage ich auch nur, weil ich diese Nöte scheinbar nicht habe.

   Dieser Film gewährt mir nun allerdings einen sehr intensiven Zugang, weil er nicht auf Melodrama oder soziologische Exkurse setzt, sondern sich auf eine kleine Gruppe von sehr real und alltäglich wirkenden Menschen konzentriert, vor allem natürlich auf Lucía, die immer wieder hin- und hergerissen ist zwischen dem Erforschen einer neuen, fremden Außenwelt und dem Drängen einer Innenwelt, die verzweifelt verstanden werden möchte. Mit großer Einfühlsamkeit und der Hilfe einer großartigen jungen Darstellerin werden Lucías Versuche geschildert, sich mitzuteilen. Manchmal kann sie sich öffnen und direkt sprechen, manchmal bricht ihre Verzweiflung in Form von Wut und Trotz heraus, und vor allem das Verhältnis zur Mutter ist sehr ambivalent, denn einerseits scheint Ana die einzige zu sein, die überhaupt gewillt ist, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, andererseits ist sie ständig überfordert von den eigenen Konflikten und Existenzängsten. Und natürlich auch die Tante und die Oma werden auf lange Zeit dazu gezwungen, sich zu stellen, eine Haltung zu entwickeln, statt wegzusehen oder das Problem als eine vorübergehende Verwirrung kleinzureden.

 

   Und gerade weil „20.000 Arten von Bienen“ kein flammendes Pamphlet für Toleranz und Offenheit darstellt, sondern äußerlich ganz einfach und im Stile einer Independentproduktion daherkommt, entfaltet sich diese intensive Wirkung, diese Mischung aus Poesie und sehr menschlichem Drama. Die über zwei Stunden sind dabei ebenso lohnenswert wie fordernd, vor allem wenn sie erst kurz vor Mitternacht zuende sind… ˜˜˜˜» (10.7.)