Alma und Oskar von Dieter Berner. Österreich/Schweiz/BRD/Tschechien, 2022. Emily Cox, Valentin Postlmayr, Táňa Pauhofová, Anton von Lucke, Wilfried Hochholdinger, Gerald Votava, Virginia V. Hartmann, Cornelius Obonya, Marcello de Nardo

   Falls dieser Film die Absicht gehabt haben sollte, Alma Mahler von dem Image der hedonistischen Sirene, die sich durch die gesamte künstlerische Moderne der Vorkriegszeit geschlafen hat, zu befreien, so kann ich nur sagen, nein, dieses Ziel wurde nicht erreicht. Wir sehen nämlich genau das und auch nicht viel mehr. Und falls der Film vielleicht die Absicht gehabt haben sollte, eine amour fou innerhalb dieser Kunstszene zu erzählen, so finde ich ihn in dieser Hinsicht auch nicht sonderlich erfolgreich, denn wenn man schon einen solch hitzigen jungen Sturm-und-Drang-Kerl hat wie den Kokoschka, so könnte man sich doch auch als Filmemacher womöglich eines etwas unkonventionelleren, leidenschaftlicheren Tons befleißigen. Das geschieht aber nicht, der Film kommt als gepflegt und schön bebildertes Kunst- und Epochengemälde der Secession daher, das sich alles in allem nicht oder jedenfalls nicht wesentlich von anderen Produktionen dieser Gattung abhebt.

   Ein ganzer Haufen prominenter Künstlergenies umschwirrt die lebensfrohe Dame und werden in ihrer Nähe ganz plötzlich zu ganz normalen besitzergreifenden Kleinbürgern, auch wenn sie Gropius, Mahler oder Kokoschka heißen. Sie werden weder mit ihrer selbstbewussten Sexualität fertig noch mit ihrer herausfordernden Unabhängigkeit, die sie sofort eine Tür weiterziehen lässt, wenn der aktuelle Geliebte sie langweilt. Das Drehbuch hat sich offensichtlich bemüht, möglichst viel name-dropping mit möglichst viel Zeitkolorit und einer gebührenden Dosis „Erotik“ zu verbinden, aber nichts an diesem Film ist wirklich „gewagt“ oder „provozierend“, ich bekomme kaum ein Gefühl dafür, was diese Alma so außergewöhnlich gemacht hat und wieso sie auch bei ihren Geschlechtsgenossinnen jener Zeit zum Teil enorm angefeindet war. Und das hätte mich persönlich schon interessiert. Alles, was irgendwie in die Tiefe geht, wird jedoch sorgsam vermieden, stattdessen gibt’s Kostümszenen und viel gediegene Ausstattung. Immerhin bemüht sich der Film, das künstlerische Schaffen Kokoschkas in die Story einzubinden und Almas Rolle als „Muse“ und Inspiration ansatzweise zu verarbeiten, während ihre eigenen künstlerischen Ambitionen nur schattenhaft erwähnt werden. Ihre Beziehung zu Kokoschka wird auf ein leidenschaftliches, launisches, bisweilen hysterisches Gerangel reduziert, und gegen diesen virilen Burschen wirken Männer wie Walter Gropius oder Gustav Mahler natürlich so total anämisch, dass ich mich die ganze Zeit gefragt habe, was Alma überhaupt zu ihnen hingezogen hat. Das alles ist deutlich weniger interessant, als es hätte sein können.

 

   Immerhin liefert Emily Cox in der Titelrolle eine sehr starke und charismatische Vorstellung, die schon einiges herausreißt, und Valentin Postlmayr ist als Kokoschka angemessen unbehauen und wild, drumherum aber tut sich einerseits nicht genug und andererseits zuviel, um die Liebe von Alma und Oskar mit etwas Substanz anfüllen zu können. Ich habe dem Film eigentlich ganz gern zugeschaut, habe mich an den schönen Bildern und dem illustren Personal erfreut und natürlich am Mythos jener Jahre, in denen die Kunst Mitteleuropas plötzlich in die Moderne hinein explodierte und für einige Jahre sich alles weit zu öffnen schien, bevor dann menschliche Machtgier und Gewalt und Nationalismus alles wieder zerstampften. Als ich aber nachher anfing, darüber nachzudenken, wie mir die Alma hier präsentiert wurde und wieviel mehr möglich gewesen wäre, blieb der Eindruck eines gefälligen, letztlich aber viel zu braven Werks. ˜˜˜ (16.8.)