Close von Lukas Dhont. Belgien/Niederlande/Frankreich, 2022. Eden Dambrine, Gustav de Waele, Émilie Dequenne, Léa Drucker, Igor van Dessel, Kevin Janssens, Marc Weiss
Die enge Freundschaft von Léo und Rémi verliert ihre Unbefangenheit, als beide auf die höhere Schule kommen und dort gleich zu Anfang gefragt werden, ob sie eine Beziehung hätten (oder „Freundschaft plus“, wie das heutzutage offensichtlich heißt…). Besonders Léo kann damit nicht gut umgehen, er löst sich von Rémi, versucht, sich anderen Cliquen anzuschließen, während Rémi sich nach wie vor um die vertraute Nähe bemüht. Immer wieder kommt es zu Situationen, in denen Léo sich von seinem Freund distanziert oder ihm ausweicht. Schließlich tötet Rémi sich selbst, und in der zweiten Hälfte der Geschichte wird erzählt, wie Léo damit fertig zu werden versucht.
Freundschaft, soziale Zwänge, Verlust und Trauer in denkbar eindrucksvoller, intensiver Art und Weise auf die Leinwand gebracht in einem großartigen, im besten Sinne des Wortes anrührenden Film. Mit tiefer, aber niemals aufdringlicher oder übergriffiger Empathie schildert Dhont, wie eine sehr innige, aber vollkommen „unschuldige“ Jungsfreundschaft plötzlich diese Unschuld verliert, weil andere sie mit anderen Maßstäben betrachten und die beiden gleich in eine Schublade stecken, statt ihnen ihre ganz besondere Verbindung einfach zu lassen und zu gönnen. Dhont verteufelt die Haltung der Mitschüler allerdings nie als klischeehaftes Mobbing, denn um die beiden herum tummeln sich ganz normale Kids, die Léo und Rémi für schwul halten, weil sie mit deren Beziehung nicht umgehen können, weil ihre Beziehung einfach nicht ins Bild passt. Das Miteinander an der Schule ist ein Geflecht aus Konventionen und Abhängigkeiten, und niemand hat in dem Alter die Kraft, sich allein außerhalb dieser Konventionen zu platzieren, das ist einfach so. Daraus wird kein schrilles, im TV bereits zigmal aufgeführtes Drama formuliert, auch Léos allmählicher Rückzug geschieht eher still und vor allem ohne viel Worte, denn natürlich vermag er nicht zu artikulieren, was ihn plötzlich hemmt und ihn von seinem Freund entfernt. Mit der Trauer um Rémis Tod verhält es sich ähnlich – lange findet Léo keine Worte oder keine Gefühle, er zieht sich zurück und versucht zunächst, weiterzumachen wie zuvor, und erst ganz zum Schluss kann er mit Hilfe von Rémis Mutter etwas davon herauslassen, genug auf jeden Fall, um nach vorne schauen zu können.
All dies wird sehr einfach und schnörkellos erzählt. Eine gefühlvolle Regie, zwei grandiose Hauptdarsteller und tolle Bilder ergeben ein Drama, das uns nicht in künstlich erzeugten Emotionen erstickt, sondern direkt ins Herz trifft, in meines jedenfalls. Großes, wunderbares Kino. (31.1.)