Das Lehrerzimmer von İlker Çatak. BRD, 2023. Leonie Benesch, Leonard Stettnisch, Eva Löbau, Rafael Stachowiak, Sarah Bauerett, Michael Klammer, Anne-Kathrin Gummich, Kathrin Wehlisch, Oscar Zickur, Antonia Luise Krämer, Elsa Krieger, Can Rodenbostel

   Erstmal tiiiief durchatmen...gar nicht so leicht, den Kopf wieder klar zu kriegen nach knapp einhundert sehr intensiven und aufreibenden Minuten. Die vielen Pädagogen um uns herum genossen ihren Merlot, und da wollte ich nachher auch nicht stören und sie womöglich danach fragen, wie realistisch die gezeigte Geschichte wohl gewesen sein mag – und irgendwie hat mich diese Frage dann auch nicht mehr weiter beschäftigt, denn der Film ist allemal realistisch genug, um mich in nicht geringem Maße zu beeindrucken, und das reicht allemal.

   Vieles hat man in Ansätzen schon so oder so ähnlich gesehen: Junge, idealistische (oder auch naive, ganz wie man’s sehen will) Lehrerin ist neu an der Schule, bringt ihren Eifer und ihre Vorstellung von flacher Hierarchie im Umgang mit den Kids ein, und wird dann total aus der Bahn geworfen, als sie im Lehrerzimmer mit ihrem Laptop filmt, wie sie selbst bestohlen wird und dann erst die Verdächtige und später die Direktorin informiert, immer  noch in der besten Absicht, alles „ ganz vernünftig“ und ohne großes Aufsehen zu klären. Sie schätzt allerdings die Folgen ihres Tuns vollkommen falsch ein, versucht immer wieder, einen Rückzieher zu machen, doch es rollt bereits eine immer größer werdende Welle, die auch den Sohn der Beschuldigten erfasst, der auch noch einer ihrer Schüler ist und sich nun massiver Mobbingattacken ausgesetzt sieht. Zugleich lancieren die Schüler selbst eine polemische Kampagne mithilfe ihrer Schulzeitung, auch nicht ganz fair und sauber, und die Angeklagte nutzt einen Elternabend, um sie vor der versammelten Klasse zu diskreditieren. Durch ihr erratisches und auch nicht immer ganz ehrliches Verhalten zieht sie zusätzlich den Zorn vieler Kolleginnen auf sich und ist am Ende ziemlich allein bei dem Versuch, zumindest den Jungen irgendwie zu rehabilitieren.

   Eine der Stärken dieses Films liegt meiner Meinung nach darin, dass er ein bekanntes Grundprinzip ganz neu aufrollt und vor allem mit vielen spannenden Zwischentönen anreichert. Carla Nowak ist Opfer und Täterin gleichermaßen, muss bitter erfahren, dass man für sein Handeln und die Konsequenzen immer selbst verantwortlich ist und vor allem nichts ungeschehen machen kann. Gerade indem sie das versucht, macht sie vieles nur noch schlimmer und macht sich auch zunehmend unglaubwürdig. Manchmal wirkt ihr Gutmenschentum fast kindlich, mal verzettelt sie sich haltlos bei dem Versuch, die Dinge wieder gerade zu rücken, dann wieder bewundert man sie für ihre klare Haltung, die sie mutig vertritt.

  Eine weitere Stärke liegt in der sehr guten und richtigen Entscheidung, die Story maximal zu fokussieren und zu konzentrieren: Wir bleiben zusammen mit den Protagonisten in der Schule, im Lehrerzimmer, den Klassenräumen, der Turnhalle, den Fluren, es gibt keine unnötigen Exkurse oder Abschweifungen, Zeit und Raum bleiben dicht verknüpft, Spannung und Druck gleichbleibend hoch, und nur so kann es gelingen, derartig viele komplexe Motive und Emotionen in einer vergleichsweise kurzen Zeit zu verhandeln, und dann auch noch so überzeugend wie hier.

   Und dann sind da natürlich die Schauspieler, Lehrer, Schüler, Eltern, allesamt fabelhaft und sehr echt und lebensnahe, die maßgeblich dafür sorgen, dass dieser Film so realistisch wirkt. Leonie Benesch aber ist das Gesicht dieses Films, trägt das ganze Drama zu uns herüber, Carlas Überzeugungen und Zweifel, ihren Idealismus, ihre Naivität, ihre Angst und auch ihre Stärke, ihre Kämpfe mit den KollegInnen, den Eltern, den SchülerInnen, ihren zunehmenden Tunnelblick, der sich nicht mehr öffnen kann für das, was um sie herum vorgeht, der sie blind macht für Lösungen und Kompromisse und der sie andererseits auch fast bewunderungswürdig macht für ihre Entschlossenheit, sich treu zu bleiben. Die besten Absichten, und was daraus werden kann.

 

   So ist „Das Lehrerzimmer“ vielleicht eine Art Lehrstück, ohne jedoch im geringsten belehrend oder zeigefingernd zu wirken. Beklommen und immer ein wenig atemlos – und vor allem immer auch an meinen eigenen Berufsalltag denkend, der von diesem hier nicht so weit entfernt ist - erlebe ich all die verschiedenen Zustände Carla Nowaks mit, und so ist dieser Schulfilm doch ein ziemlich besonderer geworden. Ich will eigentlich manchmal gar nicht hinsehen, und tue es dann doch, weil so liegen die Dinge einfach. Genau wie in einer der besten Szenen des Films: Carla stellt sich vor ihre Klasse und animiert alle, einfach mal so laut zu schreien, wie es geht – und dann schreien sie alle, mehrmals, was vielleicht nichts an den Verhältnissen ändert, aber enorm hilft, wenigstens kurzzeitig mal den Druck loszuwerden. Ich als Altenpfleger möchte das manchmal auch tun, lang und laut schreien. ˜˜˜˜˜ (16.5.)