La syndicaliste (Die Gewerkschafterin) von Jean-Pierre Salomé. Frankreich/BRD, 2023. Isabelle Huppert, Grégory Gadebois, Marina Foïs, Yvan Attal, Pierre Deladonchamps, Aloïse Sauvage, Gilles Cohen, Christian Hecq, Alexandra Maria Lara

   Maureen Kearney ist es als kämpferische Gewerkschafterin gewohnt, sich mit den großen Industrietieren anzulegen. Um tausende von heimischen Arbeitsplätzen zu retten, will sie einen heimlichen Atomdeal eines großen französischen Energieversorgers mit den Chinesen publik machen, womit sie noch mehr Feinde auf sich zieht als ohnehin schon. Eines Tages wird sie in ihrem Haus überfallen und brutal misshandelt. Bald jedoch werden Zweifel an ihrer Schilderung laut, und die Polizei beginnt, gegen sie wegen Vortäuschung einer Straftat zu ermitteln. Vom öffentlichen Druck zermürbt, gesteht sie, widerruft dann, wird aber dennoch verurteilt, und erst nach einem weiteren Widerruf, Jahre später und mit einem fähigeren Anwalt, kann sie ihre Unschuld durchboxen, auch weil sie eine andere Frau findet, der unter ähnlichen Umständen ähnliches widerfahren ist. Sie arbeitet jetzt als Englischlehrerin – der Täte wird nie gefunden.

 

   Isabelle Huppert ist einfach die ideale Besetzung für diese Rolle – giftig, bissig, stur und irgendwie undurchschaubar. Maureen sagt es selbst: Sie passt einfach nicht ins Opferschema, verhält sich nicht so, wie sich nach Meinung der (natürlich fast ausschließlich) männlichen Ermittler und Gutachter eine just vergewaltigte Frau verhalten müsste, und allein das schon erregt allgemein Anstoß. Und auch ich als Zuschauer kriege meine Zweifel, wenn ihre gesamte Person plötzlich ins Zwielicht rückt, weil sich immer mehr merkwürdige Ungereimtheiten häufen, und dennoch kann ich mir zu keinem Zeitpunkt so richtig vorstellen, dass sie den Überfall komplett selbst inszeniert hat. Was als Industriekrimi beginnt, wird plötzlich zu einem Psychodrama einer streitbaren, rückhaltlos konsequenten und daher so unbequemen Frau, die sich in der klassischen Männerwelt wieder und wieder mit mächtigen Herren anlegt, und von der selbst die einzig andere einflussreiche Frau in dieser Geschichte abrückt, weil es irgendwann nicht mehr opportun erscheint, auf ihrer Seite zu stehen. Es geht um Macht, Missbrauch, Opportunismus, Intrigen und die sattsam bekannten Absprachen zwischen Politik und Wirtschaft, wie es sie halt überall gibt. Man kennt das – Arbeitsplätze und Integrität sind piepegal, wenn es um die ganz große Kohle geht, macht man eben schmutzige Deals mit den Chinesen, so what. Das französische Establishment kommt nicht so gut weg in dieser Affäre, Minister, Industrielle, Ermittler, sie alle sind voreingenommen, verfolgen ihre eigenen Interessen, und eine aus ihrer Sicht hysterische Gewerkschaftstante ist da nur lästig und muss aus dem Weg. Zwischendurch verliert das etwas überlang geratene Drehbuch den Industriekrimi ein wenig aus den Augen und kümmert sich einzig um Maureen, erst zuletzt kriegt es wieder den Bogen und verbindet die beiden Elemente wieder so überzeugend wie in der ersten Stunde. Das macht aber nicht viel, denn Madame Huppert hält den Film souverän auf Kurs, und die Regie verzichtet dankenswerterweise auf plumpe Effekthascherei, sondern inszeniert die Geschichte spannend, indem sie sich auf die inhaltlichen Aspekte verlässt, und dies ganz zu Recht. Die bereits angesprochenen Längen mal beiseitegelassen, ist dies ein gelungenes und aussagestarkes Drama, das mich daran erinnert, wie gut die Franzosen so was mal konnten, bevor sie sich allzu stark auf das Wohlfühlkino fokussierten. ˜˜˜˜ (15.5.)